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Frische grosse Artischocken sind in Europa das ganze Jahr über zu bekommen, Hochsaison haben sie von März bis Mai. Beim Einkauf sollte man Exemplare mit dicht zusammenstehenden Blättern bevorzugen. Sie sollten grün sein und relativ schwer für ihre Grösse. (April 2014)

Artischocke

Und das weiss das Lexikon

Geschichte. Die heute bekannte Artischocke hat sich wie die Cardy aus der wilden Artischocke entwickelt, die laut Brigitte Bartha-Pichler («Haferwurzel und Feuerbohne», S. 86) schon um 500 v. Chr. in Ägypten bekannt war und während der Antike in weiten Teilen des Mittelmeerraums geschätzt wurde: «Die römischen Gärtner verbesserten die wilde Pflanze und nannten sie ‹carduus›. Plinius beschreibt sie als ein Luxusgemüse, das den reichen Römern vorbehalten war. Um Rom mit dieser Delikatesse zu versorgen, wurde sie in Karthago und Cordoba angebaut und importiert.» Auch Harold McGee («On Food and Cooking», Kapitel «Artichokes») zitiert Plinius, der sich für den Anbau und Artischocken schämte «thus we turn into a corrupt feast the earth’s monstrosities, those which even the animals instinctively avoid.» Wahrscheinlich wusste Plinius nichts vom Appetit der Esel auf das leckere Distelgewächs.

Habs und Rosner («Appetit-Lexikon», S. 24) nennen die Artischocke einen «Triumph des arabischen Gartenbaus» und beschreiben ihren Einzug in Europa wie folgt: «Die Araber verpflanzten sie jedenfalls schon im 13. Jahrhundert nach Spanien und Sizilien, von dort setze sie nach Neapel über, gelangte 1466 durch Simon Strozzi von Neapel nach Florenz, erschien 1473 in Venedig, ging zu Anfang des 16. Jahrhunderts über die Alpen nach Frankreich und gelangte noch unter Heinrich VIII. (gest. 1547) auch nach England. Um 1560 brachte Antonio Ribera sie nach Mexiko.»

Zu den berühmtesten Artischocken-Fans der Geschichte zählt sicher auch Catarina de' Medici, die zusammen mit ihrem Koch Bartolomeo Scappi die raffinierte Küche ihrer Florentiner Heimat in das damals kulinarisch noch völlig brachliegende Frankreich brachte – und folglich als eine Art Mutter der französischen Gastronomie gilt. William Sitwell («History of Food in 100 Recipes», Kapitel 25) beschreibt die Artischockenliebe Catarinas so: «She often overdid it on the artichoke front, in fact, specifically on the day of the wedding of one Marquis de Loménie to Mademoiselle de Martigues in June 1576. The French diarist Pierre de L’Estoile records how ‹the Queen Mother ate so much she thought she would die, and was very ill with diarrhoea. They said it was from eating too many artichoke bottoms and the combs and kidney of cockerels, of which she was very fond.›»

Im 19. Jahrhundert galten die Artischocken in Deutschland zumindest noch eher als eine Gemüse des Südens – so schreibt etwa Carl Friedrich von Rumohr («Geist der Kochkunst», Achtes Kapitel): «Im südlichen Europa nimmt die Artischocke etwa drei Monate lang in der Volksnahrung ungefähr den Platz ein, den im Norden die Kartoffel nunmehr seit einem Menschenalter behauptet». Heute sind Artischocken nördlich der Alpen ebenso beliebt wie im Süden.

Name. Der Name der Pflanze geht laut Kluge («Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache». Berlin: de Gruyter, 2011, S. 63) auf das norditalienische Wort articiocco zurück, das eine entstellte Variante des italienischen carciofo darstelltet, welches wiederum aus dem spanischen alcarofa gebildet wurde, das auf die iberisch-arabischen Bezeichnung ‏al-ḫaršūfa zurückgeht. Auch französisch artichaud und englisch artichoke haben die gleiche Quelle.

Pflanze. Die Artischocke (Cynara cardunculus; engl. globe artichoke; franz. artichaut; span. alcachofera, alcaucil; ital. carciofo) ist eine grosse Kulturpflanze aus der Familie der Asteraceae (Korbblütler). Sie bildet stachelige Laubblätter aus, die ein wenig an Federn erinnern und bis 80 cm lang werden. An 0.5 bis 2 m lange Stängeln erscheinen Blütenknospen, die als Gemüse verzehrt werden können. Wenn die Blütenstände nicht geerntet werden, dann entfaltet die Knospe violette Röhrenblüten, die ein wenig wie Borsten aussehen. Es gibt verschiedene Sorten, die unterschiedlich grosse Knospen ausbilden, deren Hüllblätter unterschiedlich stachelig sind (der Carcioffo romano etwa hat gar keine Stacheln). Die Artischocke ist eng mit der Cardy verwandt, bei der jedoch die Stängel gegessen werden.

Anbau. Die Pflanze benötigt relativ viel Platz, etwa einen Quadratmeter, und wächst am besten an sonnigen Standorten. Die Blütenköpfe werden in knospigem Zustand geerntet wenn sie noch geschlossen sind. Laut Harold McGee («On Food and Cooking», Kapitel «Artichokes») reifen grössere Artischocken an einem langen Stängel – derweilen kleinere Exemplare an kürzeren Stängeln im Herzen der Pflanze wachsen. Letztere werden laut McGee nur sehr langsam grösser und werden unreif geerntet. Eine Artischockenstaude produziert etwas fünf Jahre lang Knospen und kann in der Regel mehrmals im Jahr beerntet werden. Die Artischocke wird heute in grösseren Teilen Europas (vor allem in Italien, Spanien und Frankreich), in den USA (Kalifornien), Ägypten und Argentinien angebaut.

Charakter und Verwendung

Grosse gekochte Artischocken duften erdig, ein bisschen nach gedünstetem Blumenkohl und nach Pilzen. Sie haben eine leicht metallische Note, sind etwas bitter und auf eine fast künstliche Art ein bisschen süss. Die Konsistenz ist kompakt und dabei doch elastisch, samtweich und trotzdem fest. Ganz junge und kleine Exemplare, die man roh verspeisen kann, haben einen erdigen, fast etwas käsigen Geruch. Der Boden schmeckt auf frische Art süss, die Blätter werden nach oben zunehmend bitter und leicht adstringierend.

Nach dem Genuss von Artischocken schmeckt alles, was man isst oder trinkt, auf eine eigentümliche Weise süss. Laut Niki Segnit («The Flavour Thesaurus», Kapitel «artichokes») ist diese Wirkung auf eine Phenolverbindung namens Cynarin zurückzuführen: «Cynarin blockiert die Süsse-Rezeptoren in den Geschmacksnerven vorübergehend, und zu arbeiten beginnen sie erst wieder kurze Zeit später, wenn man etwa auf einen Bissen Artischocke einen Schluck Wasser folgen lässt, sich so die Verbindung von der Zunge spült, und dann der jähe Kontrast das Gehirn zu der irrtümlichen Annahme verleiht, man habe gerade einen Mundvoll Zuckerlösung geschluckt.»

Bei grösseren Artischocken kann man die unteren fleischigen Teile der Schutzblätter und den Blütenboden, das sogenannte Herz essen, das wie ein Körbchen geformt ist. Je nach Grösse und Frische werden sie in der Regel 30 bis 60 Minuten in Salzwasser (manchmal mit etwas Zitronensaft) gekocht – sie sind gar, wenn sich die äussersten Blätter zu lösen beginnen. Bei Tisch werden die Blätter abgezupft und der fleischige untere Teil wird mit den Zähnen abgestreift. Je näher man dem Boden kommt, desto dünner und weniger fleischig werden die Blätter. Unter den Blättern stösst man auf eine Art ‹Heu, das aus dem Boden der Artischocke wächst – es handelt sich dabei um die noch nicht voll entwickelten Röhrenblüten. Dieses ‹Heu› ist für den Verzehr zu stachelig und zu zäh, es wird deshalb ausgeschabt und entsorgt. Darunter liegt der besonders fleischige Boden der Artischocke. In südlichen Ländern werden von den grossen Artischocken oft nur die von Hüllblättern und ‹Heu› befreiten Böden angeboten – meist schwimmen sie auf den Märkten in kleinen Bassins mit gesäuerten Wasser.

Bei kleineren, unreif geernteten Artischocken kann man auch das ‹Heu› mitessen da es noch ganz zart und weich ist. Auch kleinere Artischocken können aber nur selten ganz verzehrt werden, obwohl dies oft behauptet wird: die oberen Bereiche der Schutzblätter sind meist so zäh und fest, dass sie auch nach längerer Kochzeit unangenehm hart bleiben. Kleinere Artischocken können roh gegessen, gebraten, geschmort oder frittiert werden. Meist wird man vor Verwendung den oberen Teil der Hüllblätter abschneiden. Je nach Art und Alter der Artischocke kann man auch Teile des Stils essen.

Laut Harold McGee («On Food and Cooking», Kapitel «Artichokes») sind Phenole daran schuld, dass sich die Schnittstellen der Artischocke so schnell dunkel verfärben. Man kann die Verfärbung stoppen wenn man die Schnittstelle mit Zitrone einreibt oder die Stücke in gesäuertes Wasser legt.

Artischockenrezepte sind oft etwas schwierig zu kommunizieren weil die Artischocke in so vielen verschiedenen Sorten angebaut wird und vor allem so viele Zustände kennt, die jeweils eine ganz anderen Umgang verlangen. Die Unterschiede zwischen einer jungen Artischocke, die man roh essen kann – und einem ausgewachsenen Exemplar, das man wenigstens eine Stunde lang kochen muss, sind beträchtlich.

Kleine Artischocken oder Artischockenböden werden auch in Essig oder Öl eingelegt, gekocht und dann eingedost, als Antipasti mit Gewürzen zubereitet… Aus Artischocken und Kräutern wird seit 1952 in Italien auch ein Amaro namens «Cynar» hergestellt, der wie die Artischocken selbst Appetit und Verdauung anregen soll.

Bei den kleinen Artischocken, die man vor allem im Frühling antrifft, stehen die Blätter oft weniger dicht zusammen als bei den grossen Exemplaren.
Ein Artischockenfeld auf der Gemüseinsel San Erasmo in der Lagune von Venendig. (April 2014)
Grössere Artischocken wachsen an langen Stängeln über die Blätter der Pflanze hinaus – kleinere Exemplare aber bleiben an kurzen Stängeln im Herzen der Pflanze. (San Erasmo, April 2014)
Castraure nennen die Venezianer ihre kleinen Frühlings-Artischocken – sie gelten als besonders zart und werden roh mit etwas Olivenöl und Zitrone gegessen. (April 2014)
Wenngleich grosse Artischocken in Europa das ganze Jahr hindurch zu bekommen sind, gelten sie vielen doch als ein typisches Frühlingsgemüse: Markt-Auslage auf dem Zürcher Bürkleplatz. (Mai 2014)
Eine Artischocke kurz vor der Blüte im Botanischen Garten von Brüglingen bei Basel. (Juni 2007)
Ein Gewirr aus Stängeln, Blättern und Knospen: Artischockenfeld im Juni.
Eine gewaltige, wohl 30 cm breite Artischockenblüte der Sorte «Grüne von Laon» im Botanischen Garten Brüglingen bei Basel. Laut Schild von «Pro Specie Rara» wird die etwas spätreife Sorte bereits 1878 erstmals erwähnt und gilt als besonders ergiebig. (Anfang Juli 2014)
Das sogenannte ‹Heu›, das man bei Tisch sorgsam vermeidet, entwickelt sich im Garten zu einer leuchtenden Blüte. (Juli 2007)
Auch abgeblüht hat die Artischocke eine eigene Schönheit: Botanischer Garten Brüglingen. (September 2005)

First Publication: 9-5-2014

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