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Immer wieder werden auf der Älggi Alp blaue Muscheln gefunden.

Recherchen auf der Älggi Alp

Judith Albert hatte es eigentlich immer gewusst, dass auch die Älggi Alp ihr Geheimnis haben musste, ihr unheimlich-heimliches Leben. Aber wie hätte sie auch ahnen können, dass es ausgerechnet hier, im geographischen Mittelpunkt der Schweiz, ein Khongun geben könnte? Ist es doch dem glücklichen Zusammenspiel verschiedener Zufälle zu verdanken, dass solches ans Licht des Tages gebracht werden konnte.

Auf der Suche nach einer Legende

Doch blenden wir zurück. Wir schreiben Januar 2005. Der Schweizerische Kunstverein plant in Zusammenarbeit mit der Pro Helvetia eine Veranstaltung zum Thema «Peripherie als Zentrum». Dieses Happening mit Vorträgen, Workshops und künstlerischen Interventionen soll am 1. und 2. Juli auf der Älggi Alp, im Zentrum der Schweiz stattfinden. Zu den eingeladenen Künstlern gehört auch Judith Albert, die ursprünglich aus Alpnach stammt und heute in Zürich lebt. Sie beschliesst, ihre Arbeit für das Event aus einer der bestimmt sehr zahlreichen Legenden zu entwickeln, die sich mit diesem Mittelpunkt der Schweiz verknüpfen. Auf der Suche nach einer passenden Sage spricht sie zuerst mit dem Pfarrer, der für das Seelenheil auf der Älggi verantwortlich ist. Alsdann führt sie diverse Befragungen der lokalen Bevölkerung durch, recherchiert in Bibliotheken und steigt in die Archive des Kantons hinab. Vergeblich. Zu ihrem grössten Erstaunen muss sie feststellen, dass es keinerlei Legenden zu geben scheint, die sich mit diesem Zentrum der Schweiz verbinden. Aber ist solches möglich, kann es eine Alp nur mit Segen doch ohne Sagen geben?

Recherchen vor Ort

Judith Albert beschliesst, selbst vor Ort zu recherchieren. Sobald es die Schneeverhältnisse zu lassen, bricht sie mit Landkarten, Vermessungsinstrumenten, Foto- und Videomaterial ausgerüstet auf, der Älggi auf den Legenden-Zahn zu fühlen. Am ersten Tag nichts. Kreuz und quer schreitet sie über die Alp. Sie untersucht markante Ein schnitte im Gelände, die sie an einen Landeplatz für Ufos er innern – vermutlich aber rühren die bloss von der Trockenlegung her (die Alp war früher ein Hochmoor). Sie examiniert auch sämtliche Einbuchtungen, die sich auf der Ebene sehr zahlreich finden und denkt über die bizarren Namen der Alphütten nach - sie heissen «Furrenhütte», «Bini-», «Fini-», «Widi-», «Bruochli-», «Balm-» und «Mooshütte». Ja die Künstlerin klettert sogar bis zur Spitze einer verwachsenen Tanne hoch, die von den Alpleuten «Häxäbäsä» genannt wird. Ohne irgendein Ergebnis. – Zwar kommt Judith Albert vieles auf dieser Älggi ziemlich seltsam vor - allein es scheint doch für alles eine ganz natürliche, meist sogar eine überaus banale Erklärung zu geben. Auch der zweite Tag verläuft ähnlich ergebnislos. Noch während des Nachtessens im «Bergrestaurant Älggi Alp» beschliesst die Künstlerin, ihre Recherchen aufzugeben, am nächsten Tag ins Tal zurück zu fahren. Frustriert und müde geht sie zu Bett.

Nächtliches «Gruchsen»

Seltsame Träume plagen sie in dieser Nacht. Als riesige Möwe segelt sie mit weit ausgespannten Flügeln nur wenige Zentimeter über der Meeresoberfläche dahin und summt dazu mit einer tiefen Männerstimme ein altes Seemannslied. Sie spürt, wie ihr kühl die Gischt ins Gefieder spritzt und sieht, wie die Fische vor ihrem Schatten fliehen. Mitten in der Nacht wacht sie auf. War da nicht was? War da nicht von draussen ein jämmerliches Stöhnen zu hören, ein «Gruchsen» wie sich Judith Albert in ihrem Obwaldner Dialekt ausdrückt? Sie öffnet das Fenster und tatsächlich: Aus der Richtung des Felsens westlich der Hütten und der kleinen Alpkapelle dringt ein Wimmern an ihr Ohr. Mal ist es ein leises Säuseln, dann ein Gurgeln, dann eher ein metallisches Hecheln und von Zeit zu schwillt es an wie eine Windbö, die durch die Ritzen einer Hütte pfeift. – Lange horcht Judith Albert in die Nacht hinaus. Am liebsten würde sie sofort nachsehen, was für ein seltsames Tier wohl solche Geräusche von sich gibt. Eine Alp aber ist bei Dunkelheit nicht ungefährlich - die Künstlerin weiss das nur zu genau. Am nächsten Morgen indes, mit den ersten Strahlen der Sonne, steigt sie zu dem Felsen hoch. Eine markante Spalte ist ihr schon gestern an dieser Stelle aufgefallen - doch hat sie sich nichts dabei gedacht. Denn wo es Felsen gibt, da gibt es auch Spalten. Jetzt aber geht sie näher ran und horcht in die Spalte hinein: Aus grosser Entfernung ist das Rauschen von Wasser zu hören und da, ganz fein, dann und wann ein Wimmern - nicht vergleichbar mit dem Stöhnen der letzten Nacht, eher wie die Seufzer eines kleinen, schlafenden Kindes. Und doch eindeutig ein Geräusch, wie es nicht in eine Felsspalte gehört.

Blaue Muscheln und Geweihe

«Ja gewiss, der Stein ist schon bekannt» bestätigt auch Heini Vogler, der im Sommer an jedem Wochenende «ufs Älggi uifa» geht, wie er sagt: Je nach Wetterlange könne es einem vorkommen, als «gruchse» der ganze Felsen, da habe er sich auch schon gewundert. «Numee gschtuinet» habe er allerdings, als er eines Tages bei dem Felsen eine blau angemalte Muschel gefunden habe. Die liege heute noch bei ihm zu Hause auf dem Küchenschrank - es nehme ihn «gruisig wunder», wie die wohl auf die Alp gekommen sei. – Auch andere Älggi-Wanderer, die Judith Albert befragt, haben den Felsen schon «gruchsen» hören. Und Anni von Ah, die hier immer wieder Blumen für ihr Alpen-Herbarium sammelt, hat in der Gegend schon zwei Mal eine blaue Muschel gefunden – und ausserdem kleinere Knochen, die von einem Huhn, einem Hasen oder auch einer Katze stammen könnten. Wahrscheinlich veranstalte hier jemand regelmässig ein Picknick mit Barbecue, so vermutet sie, aber gesehen habe sie noch nie jemanden. – Die Wirtin des «Bergrestaurant Älggi Alp» weiss nichts von einem Picknick bei dem Felsen – so etwas wäre ihr wohl schon aufgefallen. Aber auch sie hat eines Tages auf der Terrasse ihres Restaurants eine blaue Muschel gefunden - wohl hat sie ein Gast da vergessen. Geri Hofer, ein Erfinder aus Sarnen und ebenfalls ein passionierter Älggi-Wanderer, behauptet, er habe im letzten Jahr in der Nähe dieses Felsens ein blaues Gemsgeweih in einem Baum hängen sehen. Ob da ein Zusammenhang zu den Muscheln besteht?

Viele offene Fragen

Judith Albert spürt, dass hier etwas nicht stimmt. Nur was ist es genau? Haust da vielleicht irgendein Tier in der Spalte – vielleicht gar ein kleines Bergmonster? Und lässt sich das Biest wohl irgendwie aus seinem Versteck locken? Oder rühren all die kläglichen Geräusche doch nur vom Wind her? Wie aber kommen blaue Muscheln in diese Gegend? Was bedeutet das Geweih? Und was hat es mit den Hühnerteilen auf sich? An diesem Punkt könnte die Geschichte zu Ende sein. Denn in diesen Bergen gibt es viele Dinge, die sich nicht wirklich erklären lassen – und warum soll nicht auch die Älggi Alp ihr unergründliches Geheimnis haben? Der Zufall hat anders entschieden.

 

Auch blaue Geweihe von Wildtieren wurden da und dort entdeckt.

First Publication: 7-2005 (vormals PJ091)

Modifications: 25-3-2011, 4-11-2011