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Tokio, Roppongi Hills, Mori Tower

Szene 1

Der einsamste Ort dieser Welt ist eine Party, auf der du bloss ein paar Leute oberflächlich kennst. Mit verzweifelter Beiläufigkeit lässt du dich in die Nähe deiner Bekannten treiben. Sicher sehen sie die Angst in deinen Augen - die Panik, du könntest etwas zu hilfsbedürftig wirken, zu anhänglich sein. Mit ein paar Bemerkungen legst du eine Schlinge um einen Poller ihre Konversation – und merkst doch bald, dass dir die Kraft ausgeht, dass du loslassen musst, weitertümpeln. Vielleicht findest du noch einen zweiten Steg, an dem du für ein paar Sekunden anlegen kannst – wieder krallt sich dein Witz an den Planken fest, wieder geht dir die Puste aus, gleitest du zurück in den Pfuhl aus Stimmen, die dich nicht meinen.

Irgendwann passiert es dir dann doch, dass du alleine da stehst, ein ganz offensichtlich vollständig überflüssiges Menschenwesen, das aus unerfindlichen Gründen wieder und wieder an seinem Glas mit Weisswein schnüffelt, als hoffe es etwas darin zu entdecken, einen Ausweg aus seiner Lage vielleicht. Doch das Glas ist zu eng, um darin abzutauchen. Und plötzlich bist du interessant für all die Leute, die sich da in kleinen Gruppen mit Konversationen über Wasser halten. Aus dem Winkel ihrer gelangweiten Augen schauen sie zu dir herüber und suchen nach den Pusteln in deinem Gesicht – ihr Blick tastet dich nach Gründen ab, warum ihnen selbst so etwas bestimmt nie zustossen wird.

Auf der Innenseite deiner Hände bildet sich ein feiner Film aus Schweiss, gefährlich rutscht das Glas darin hin und her. Du packst fester zu und das lässt den Wein noch wärmer werden, trüb und ölig. Bald sieht der Chablis aus wie Pisse und riecht auch so. Mitten unter all diesen Menschen wirst du zu einem, der sein eigenes Urin spazieren führt.

Du möchtest am Ärmelkanal sein, wo du mit der Ebbe auf dem Meeresboden hinauslaufen kannst, bis du das Ufer nicht mehr siehst und nur noch Wasser um dich ist – in der Normandie zum Beispiel.