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Moskau, Roter Platz

Szene 7

Endlich kam der Abend näher – an sinnlosen Tagen oft der einzige Trost. Ein seltsamer Trost allerdings, dachte Maille – nicht weil er nicht wissen konnte, ob der nächste Tag wirklich besser würde, sondern weil er in gewissen Momenten einfach nicht wusste, was denn «besser» überhaupt sei. War das «Bessere» vielleicht nur die Absenz des Schlechteren? Gab es Entspannung oder nur das Fehlen von Anspannung? Gab es Glück oder nur die vorübergehende Unsichtbarkeit von Unglück?

Auf jeden Fall gab es Wodka, beschloss Maille und betrat, wieder seine sonstigen Gewohnheiten, schon um 17 Uhr eine Bar. Das erste Glas verschwand ohne jede Berührung mit seiner Seele im Schlund seines Leibs. Das zweite Glas aber verströmte eine angenehme Wärme in seinem Bauch – verbunden mit einem leichten Gefühl der Betäubung. Ja, das war es, das «Bessere». Maille entschied, es bei zwei Gläsern zu belassen – schliesslich stand ihm noch ein Abend mit Rachmaninow bevor.

Hymnisches auf den Lippen marschierte er über den Roten Platz zu einem kleinen, abgründig teuren Supermarkt, den er von früheren Besuchen her kannte – und gab dort, in bester Stimmung, für zwei Tüten mit Nahrungsmitteln den Monatslohn eines russischen Polizeibeamten aus.