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Das Unheimliche hat einen Namen: Kuttel – den einen schierer Graus, anderen die behaglichste Schleckerei der Welt. (Zürich, November 2008)

Kutteln vom Rind

Und das weiss das Lexikon

Als Kutteln oder auch Kaldaunen, Flecke (engl. tripe; franz. tripes; span. tripa, callos, pancita; ital. tripa; chin. 的牛肚 de niú dǔ) bezeichnet man das Magengewebe von Wiederkäuern (Ruminantia). Dieser mehrteilige Magen erlaubt es vielen Paarhufern, auch Kohlenhydrate zu verwerten, die für Tiere mit nur einem Magen (Monogastrier) unverdaulich sind, namentlich Zellulose aus Pflanzenfasern.

Eine sehr genaue Beschreibung des Vorgangs liefert Susanne Granz («Aufbau und Arbeitsweise tierischer Organe», in: Jürgen Weiss et al.: «Tierproduktion»). In unserer knappen Zusammenfassung des Prozesses beziehen wir uns in erster Linie auf diese Publikation.

In der aktiven Phase frisst das Tier Pflanzenfasern (es grast), zerkaut sie grob und schluckt sie. In den verschiedenen Vormägen (Pansen mit Schleudermagen, Blättermagen und Netzmagen – siehe auch weiter unten) wird der Nahrungsbrei mit Bakterien, Hefen und anderen Mikroorganismen vermischt, die Kohlenhydrate so verändern (fermentieren), dass die resultierenden Stoffe von der Wand des Magens aufgenommen werden können. Dabei wird der Brei zwischen Pansen und Netzmagen hin und her bewegt. Der Netzmagen sortiert die kleineren Bestandteile aus der Masse heraus und leitet sie in den Blättermagen, wo sie zwischen den Blättern ausgepresst werden. Die bei der Fermentation entstehenden Gase (Kohledioxid und Methan) werden durch Rülpsen ausgestossen.

In der Ruhephase (etwa 1 Stunde nach der Nahrungsaufnahme) wird Nahrungsbrei durch Kontraktion von Schleudermagen und Netzmagen sowie eine spezielle Ausstattung der Speiseröhre in kleinen Portionen wieder in die Mundhöhle befördert, nicht ganz eine Minute lang feiner zerkaut (daher der Begriff «Wiederkäuer») und erneut verschluckt. Erst am Ende dieser zweiten Phase gelangt der Brei dann in den Labmagen, wo – wie bei Monogastriern – sein PH-Wert mit Hilfe von Salzsäure gesenkt wird und Enzyme für die Verdauung von Fetten und Eiweissen sorgen. Täglich verarbeiten Kühe so in einem Zeitraum von 5 bis 9 Stunden etwa 40 bis 60 kg Nahrung – zum Wiederkäuen legen sie sich am liebsten nieder.

Der fünfteilige Magen von Wiederkäuern

Der Pansen (Rumen, Zottenmagen; engl. rumen, seam; franz. panse, gras double) ist der erste und grösste der drei Vormägen, er funktioniert als eine Art Gärkammer. Seine dicke Innenwand ist nur schwach strukturiert. Zum Pansen gehört ein Vorhof (Schleudermagen, engl. thick seam). Der Pansen kann sehr vielfältig verkocht werden.

Der Netzmagen (Retikulum, Haube, Käppchen; engl. honeycomb tripe, pocket tripe; franz. bonnet, réseau) ist der zweit Vormagen und hat eine zellige Innenwand, die von der Struktur her an Bienenwaben erinnert. Er ist vor allem in den englischsprachigen Gebieten der beliebteste Teil der Kuttel – ja oft wird der Begriff «honeycomb» geradezu als Synonym für Kuttel verwendet.

Der Blättermagen (Omasus, Psalter, Buch, Kalender; engl. omasum, book, bible, leaf tripe; franz. feuillet) ist der dritte Vormagen und besteht aus multiplen ‹Blättern›, zwischen den die Nahrung zermalmt wird. Auch dieser Teil wird kulinarisch verwendet.

Der Labmagen (Abomasus; engl. black tripe, reed, shag; franz. caillette, franche-mule) ist der eigentliche Magen und ähnelt dem entsprechenden Organ bei Monogastriern. Hier findet die enzymatische Verdauung statt. Dieser Teil wird kulinarisch nur selten verwendet da er viele Säuren und Verdauungsenzyme enthält.

Je nach Rezept sind dickere oder dünnere, mehr oder weniger stark strukturierte Kutteln von Vorteil. Allerdings ist es sogar in Frankreich nicht ganz einfach, sich eine bestimmte Art von Kuttel zu besorgen. Und in der Schweiz muss man froh sein wenn man überhaupt Kutteln bekommt.

Verarbeitung der ungereinigten Kutteln

Wenn die Kutteln aus dem Tier geschnitten werden, dann enthalten die verschiedenen Teile noch Nahrungsbrei und verströmen einen entsprechenden Duft. Sie sind so für den Menschen nicht geniessbar und müssen erst gründlich gereinigt, von Talg und anderen Ansätzen befreit, gewässert und mehrere Stunden lang gekocht werden. Diese harte Arbeit wurde früher meist von Spezialisten übernommen, die das Resultat dann in der Regel auch in eigenen Geschäften verkauften, die etwa in Frankreich «Triperies» und in England «Tripe Shops» hiessen. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Verarbeitung von Kutteln bis zu einem gewissen Grad industrialisiert. Die Kuttel galt damals auch als eine ideale Nahrung für die ärmeren Bevölkerungsschichten und wurde entsprechend auch dort besonders beworben, wo die Arbeiterklasse stark war. Zu den wenigen Büchern, die sich mit der hochinteressanten Geschichte der Kuttel beschäftigen, gehört «Tripe: A Most Excellent Dish» von Marjory Houtihan. Sie beleuchtet zwar in erster Linie die Geschichte der Kuttel in Lancashire – vieles dürfte sich jedoch in anderen Regionen Europas ähnlich entwickelt haben.

In Europa werden Kutteln vom Rind oder Kalb heute ausschliesslich in gereinigtem und gekochtem Zustand verkauft. Diese Mühe dürfte sich allerdings auch der Metzger an der Theke seines Ladens nur in den seltensten Fällen selbst gemacht haben. In der Regel werden Kutteln nur in grösseren Schlachtbetrieben für die Küche fertig gemacht, da sie sich mit speziellen Gerät deutlich leichter verarbeiten lassen.

Wer in der Schweiz eine Ahnung davon bekommen will, wie eine ungereinigte Kuttel aussieht, der wende sich an eine türkische Metzgerei, wo Lammkutteln wohlfeil aber in der Regel ungereinigt zu bekommen sind (1 Franken das Stück) – mehr dazu auf unserer Seite zu den Kutteln vom Lamm.

Charakter und Verwendung

Gereinigte und vorgegarte Kutteln werden in Europa entweder am Stück oder in Streifen verkauft. Sie sollten weiss bis elfenbeinfarben sein und einen frischen Geruch haben – man rechnet pro Person etwa 200 bis 250 g. In der Regel wird es nicht nötig sein, die Kutteln vor dem Verkochen nochmals zu wässern – wer der Sache (oder seinem Metzger) misstraut, der kann sie eine gewisse Zeit lang (je nach Stärke des Mistrauens) in kaltes Wasser einlegen und dann abspülen. Ebenso erübrigt es sich auch, die Kutteln zu blanchieren.

In Stücke geschnitten können die Kutteln gekocht oder geschmort werden – in der Regel reichen 30 bis 60 Minuten aus. Während die glatten Kutteln auch nach langer Kochzeit ihre Konsistenz meist behalten, können die zelligen Kutteln bei überlanger Kochzeit zerfallen. Am besten fragt man seinen Metzger, wie stark die Kutteln bereits vorgegart wurden – ob er das allerdings weiss?

Rezepte mit Kutteln gibt es zuhauf – vor allem in älteren Kochbüchern. Sie werden zu herzhaften Suppen verarbeitet oder zu Schmorgerichten, können aber auch als Salat oder in Gelatine auftreten.

Kutteln sind eine überaus feine und leichte Delikatesse (keine 100 kcal und keine 2 g Fett auf 100 g), weit zarter als fast alle anderen Teile des Tiers – und so reich an Gelatine, dass sie sich leicht zu Terrinen verarbeiten lassen. Umso erstaunlicher ist es, dass sie zumindest in den deutschsprachigen Ländern Mitteleuropas fast vollständig aus der Küche verschwunden sind. Besonders gelobt wurde früher auch die gute Verdaulichkeit der Kaldaunen – so schreiben Robert Habs und Leopold Rosner («Appetit-Lexikon», S. 236), dass sich Kutteln «durch Nahrhaftigkeit und grösste Verdaulichkeit vorteilhaft auszeichnen und daher in der Krankenküche eine der ersten Stellen einnehmen würden – wenn nur ihr Geschmack nicht gar zu weichlich wäre». Und an späterer Stelle heisst es: «Übrigens werden die Kutteln so fabelhaft schnell und gründlich verdaut, dass man um zwei Uhr mit dieser Speise bis zum besten gesättigt, doch bereist um vier Uhr vor erneuertem Hunger in Ohnmacht fallen kann».

Zum Wiederkäuen legen sich die Kühe am liebsten nieder – auch diese Schönheit auf der Hüttstett Alp über Lungern. (August 2012)
Schematische Darstellung des fünfteiligen Rindermagens.
Kutteln werden im Westen kaum je in ungereinigtem Zustand verkauft. Auf den Märkten der ärmeren Länder Asiens ist das anders – wie hier in Luang Prabang, der Hauptstadt von Laos. (April 2015)
Der Grundriss der Kuttelfabrik «Vose & Sons tripe works» in Bolton. (Bild aus «Tripe: A Most Excellent Dish», S. 32).
Kutteln, Schweinsfüsse und andere Delikatessen bei einem Metzger auf dem zentralen Markt von Athen. (Oktober 2007)
Auch auf Nagycsarnok in Budapest werden die Kutteln vom Rind selbstverständlich in gereinigtem und vorgegartem Zustand angeboten. (Mai 2011)
In dieser Foodhall an der Nanjing-Road in Shanghai werden Kutteln als Salat verkauft. (August 2015)
Vom zentralen Markt im kasachischen Almaty stammen diese sauer und scharf gewürzten Kutteln. (Juli 2015)
Geschnetzelte Rinderkutteln in roter Chilisauce gehören zu den herrlichen Vorspeisen im Restaurant «27» an der Ungargasse in Wien. (Juni 2015)
Der «Tablier de sapeur» ist ein Klassiker der Küche von Lyon: ein dickes Stück vorgekochter Kuttel, das in Weisswein eingelegt, dann paniert und gebraten wird. Das Restaurant «Aux trois cochons» serviert die Spezialität mit Kartoffeln und Sauce Gribiche. (September 2015)
In Lyon werden Kutteln manchmal auch Gras double genannt. Der Begriff geht darauf zurück, dass man für Zubereitungen mit Gras double die dicksten Teile des Pansen auswählte – mit Fett hat das also nichts zu tun. Zu den Klassikern der regionalen Kühe gehört «Gras double à la Lyonnaise».

Rezepte mit Kutteln vom Rind

First Publication: 1-2008

Modifications: 15-4-2009, 27-11-2009, 9-10-2011, 7-1-2012, 21-10-2015