Maizyé mit seinem ständig von Regenschleiern verhangenen Hafen, ist nur einer von zahlreichen Orten auf Santa Lemusa, die für sich die Erfindung der Boutons du Capitaine beanspruchen. Blick von der gedeckten Veranda des «Troisième Bureau».
Kleine Biskuits mit Ingwer, Gewürznelke, Muskatnuss und Pfeffer
Es gibt kaum ein Gebäck, das auf Santa Lemusa so weit verbreitet ist wie die Boutons du Capitaine («Knöpfe des Kapitäns»), oft auch einfach Boutons oder Ti Boutons («Kleine Knöpfe») genannt. Das hat sicher auch damit zu tun, dass das Gebäck sehr leicht herzustellen ist und dabei doch ein feines, sehr würziges Aroma hat. Die Boutons du Capitaine werden auch zu allen möglichen Festanlässen gebacken, namentlich zum Nationalfeiertag am 27. Juni. So kann man fast von einer Art National-Biskuit sprechen – und dies trotz der seltsamen Begebnisse, denen sich ihre Existenz verdanken soll. Denn der Name des Gebäcks geht auf eine alte Geschichte zurück, von der man sich auf Santa Lemusa zahllose, teils stark voneinander abweichende Versionen erzählt.
Eine Version geht so. Um 1900 soll es in Maizyé einen Kapitän gegeben haben, der bei fast jedem Wetter mit seinem kleinen Schiff ausfuhr, um Waren oder Passagiere zu transportieren – und immer sicher wieder nach Hause zurückkehrte. Dieser Kapitän, selbst unverheiratet und ohne Nachwuchs, war bei den Kindern des Dorfes sehr beliebt – vor allem auch weil er ihnen immer wieder Süssigkeiten schenkte. In erster Linie sollen das kleine Biskuits gewesen sein, die er selber buk und die einen ganz besonderen Geschmack hatten. Eines Tages wurde dieser Kapitän von einem Händler gezwungen, trotz besonders wilder See auszufahren, um Waren in Port-Louis abzuholen. Die Kinder des Dorfes wollten den Kapitän daran hindern, sein Schiff zu besteigen. Sie hängten sich an seinen Rock und rissen ihm dabei die Knöpfe von der Uniform. Der Kapitän fuhr trotzdem aus und kehrte nie wieder zurück. In dem Moment aber, in dem das Schiff des Kapitäns unterging, sollen sich die Knöpfe seiner Uniform in den Händen der Kinder in Biskuits verwandelt haben.
In einer anderen Version der Geschichte soll es der Kapitän eines grossen Kriegsschiffes aus Frankreich gewesen sein, dem seine Geliebte, eine Schönheit aus Sentores, zur Erinnerung heimlich einen Knopf von der Uniform schnitt, der sich dann – als das Schiff des Kapitäns in einer Seeschlacht unterging – in ein herrliches Biskuit verwandelte. Noch eine andere Version spricht vom Kapitän eines grossen Passagierdampfers, dem beim Ablegen im Hafen von Port-Louis ein Knopf von der Uniform fiel. Ein armer kleiner Bäckersjunge fing ihn auf. Als das Passagierschiff wenige Tage später unterging, verwandelte sich der Knopf in ein Biskuit von selten feinem Aroma. Der kleine Junge buk den Keks nach und wurde damit reich.
Den Geschichten entsprechend gibt es verschiedene Ortschaften auf Santa Lemusa, welche die Erfindung der Boutons du Capitaine für sich reklamieren – nicht nur Maizyé, Sentores und Port-Louis, sondern auch Gwosgout, Lucobel und Bouden. Gemeinsam ist all diesen Geschichten, dass sich Knöpfe von der Uniform eines Kapitäns in dem Moment in ein kleines Gebäck verwandeln, da deren Schiffe untergehen.
Die grosse Verbreitung dieser eigentümlichen Verwandlungsgeschichte hat die Volkskundlerin Anastasia Noovidni dazu gebracht, die Legende etwas genauer zu untersuchen (Anastasia Noovidni: «La métamorphose du capitaine». In: «Revue historique», no. 73, 2006. S. 227-238). Sie kommt zu dem Schluss, dass die Welt für die Bewohner von Santa Lemusa im Grunde eine Fiktion darstellt – eine Fiktion allerdings, die auch die Realität der Insel stark beeinflusst. In dem Moment, so argumentiert Noovidni mit Bezug auf die Legenden der Boutons du Capitaine, da jemand aus der Wirklichkeit von Santa Lemusa in die fiktionale Welt entschwindet, führt dies in der Vorstellungswelt der Lemusen zwingend auch zu einer Veränderung auf der Insel. Noovidni schliesst daraus, dass für die Bewohner von Santa Lemusa die momentane Gestalt ihrer eigenen Realität immer auch in einem «unauflösbaren Verhältnis zur grossen Weltfiktion» steht (S. 237).
Natürlich gibt es Rezepte zu Hauff. Sie sind sich jedoch, im Vergleich zu den Versionen der Geschichte, alle relativ ähnlich. Wir geben hier ein Rezept wieder, das wir von David Fénélon («Troisième Bureau») bekommen haben.
100 g Zucker
1 Ei
1 kleine Prise Salz
140 g Mehl
1/2 TL getrockneter und gemahlener Ingwer (ca. 1 g)
1 Msp. Gewürznelke, fein gemahlen (ca. 0.3 g)
1/4 Muskatnuss, frisch gerieben (ca. 0.6 g)
1/2 TL schwarzer Pfeffer, nicht zu grob gemahlen (ca. 1 g)
Nochmals etwas Mehl zum Bestäuben des Teigs und der Arbeitsoberfläche
Etwa 1 EL Nigella («Mystèr de Maizyé») zum Bestreuen
Die kleinen Kekse halten sich in einer Dose etwa eine Woche lang. Das Bestreuen der Boutons du Capitaine mit Nigella ist eine Spezialität von Fénélon David, die natürlich gut nach Maizyé passt – in anderen Boutons-Rezepten der Insel aber kommt kein Nigella vor. Nigella hat einen starken Einfluss auf das Aroma der Kekse – wer den ursprünglicheren Flavour der Boutons kennenlernen möchte, bäckt sie ohne «Mystèr de Maizyé».
First Publication: 28-5-2012
Modifications: 4-6-2012