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Logbuch der «PS Narina»

Tag 2

Luft- / Wassertemperatur: 23°C (19°C nachts) / 18°C

Windrichtung / Bft: West / 1-2

Gebiet: FORTITUDINIS VALLES (Fluss mit mittlerer Strömung) – Seekarte der Reise

Kombüse: Hecht (500 g) ausnehmen, Kiemen entfernen, abspülen und trocken tupfen. 200 g Pastinake in Stäbchen schneiden und in 4 dl Hühnerbrühe 15 Minuten lang blanchieren. 2 dl des Pastinakensuds mit 2 dl Fischbrühe und 1 dl Weisswein vermischen. Hecht in einen mit Butter ausgestrichenen Bräter setzen, salzen, pfeffern, mit Butterflocken bestreuen, 1 Bouquet garni (3 Petersilienstängel, 1 Zweig Thymian, 1 Lorbeerblatt), 1 Zwiebel in Scheiben und die Gemüsesud-Fischbrühe-Weissweinmischung beigeben. Fisch 15 Minuten bei 200° im Ofen garen. Pastinaken-Stäbchen zum Fisch in den Bräter legen, nochmals 10 Minuten garen. (Weitere Rezepte vom Smut der «PS Narina»)

Beobachtungen

Es liegt in der Natur eines Papierbootes, dass es ziemlich schwer zu steuern ist. Wobei man sich fragen kann, ob so ein Papierboot überhaupt eine Natur hat, in der etwas liegen kann. Oder anders gesagt: Was könnte die Natur des Papierbootes sein? Der Wald, der Baum, das Holz, aus dem das Papier gefertigt ist? Die Falten, die das Blatt in ein Boot verwandelt haben? Die Schrift, die über die Seiten kraxelt? Oder die Sprache, die aus dem Blatt aufsteigt wie Dunst aus einer Landschaft?

Wie dem auch sei. Mit Sprache jedenfalls lässt sich so ein Papierboot nicht dirigieren. Aber man kann es auf Kurs bringen, indem man sich heftig gegen die eine oder andere Wand wirft. Tagsüber funktioniert das ganz gut – man nimmt dann und wann eine kleine Korrektur vor und bleibt so auf Kurs. Schwieriger ist es nachts, wenn man schläft – auch weil die Position des Körpers den Kurs beeinflussen kann. Also entscheidet man quasi im Schlaf, wo man aufwachen wird – denn wer schläft schon eine ganze Nacht lang durch, ohne sich ein wenig hin und her zu wälzen?

Es sind vor allem Träume, die uns nachts in Bewegung bringen – also entscheiden sie mit, in welcher Landschaft wir aufwachen und damit auch, wie unser weiteres Leben verlaufen wird. Wenn wir in einem Papierboot auf den Gewässern der Welt unterwegs sind, dann ist das in besonderem Masse so. Aber ist es an Land wirklich anders? Wachen wir nicht auch auf festem Boden jeden Morgen in einer anderen Landschaft auf – mit der Möglichkeit, ausgerechnet an diesem Tag das Leben völlig neu zu erfinden?

Unsere Reise hat ein klares Ziel: die Insel Santa Lemusa. Also ist es nicht eben günstig, dass wir nachts von der Route abkommen. Ich habe Oskar zum Steuermann ernannt und ihn für die Nachtwache abkommandiert. Bisher allerdings ohne Erfolg – was vielleicht daran liegt, dass ich die richtige Befehlssprache noch nicht gefunden habe. Es könnte auch sein, dass für Oskar das Ziel nicht so klar ist wie für mich – was für ein Ziel hat eine Ameise, die von ihrem Staat getrennt auf einem Papierboot unterwegs ist?

Nächster Tag (3)

First Publication: 17-8-2012

Modifications: 30-11-2012, 4-12-2012, 6-2-2013, 10-11-2014