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Ritterlich gestimmt: Caroline Kaeser mit Wacholderzweig an der grossen Tafel in ihrem Schloss im Südosten von St-Anne en Pyès.

Caroline Kaeser und der Wacholder

Wäre alles mit rechten Dingen zugegangen, dann wäre Caroline Kaeser heute die Direktorin von «Kaeser Charcuteries», einem auf die Herstellung von Aspik spezialisierten Traditionsunternehmen aus St-Anne en Pyès. 1982 aber kam es dazu, dass verschiedene dieser Sülzen explodierten. Die Gründe für das seltsame Verhalten der Gelatinen sind bis heute nicht geklärt. Besonders gravierend war die Explosion eines Spanferkels in Aspik während der Hochzeitsfeier der jüngsten Tochter von Staatspräsiden Xavier Tisuis – vor allem auch weil die Wochenzeitung «Glas» einige Tage später nicht ohne Häme ein Foto der Hochzeitsgesellschaft publizierte, frisch bespritzt mit einer Mischung aus Gelatine, Spanferkelstückchen und kunstvoll geschnitztem Dekorgemüse.

Zuerst erschien die Gendarmerie in der Fabrik von Hermand Kaeser, der das Unternehmen in der vierten Generation führte. Die Polizisten untersuchten den Fall aufs Gründlichste – konnten indes nichts Auffälliges finden. Also schickte Xavier Tisuis den Kaesers alle möglichen Hygienebeamten auf den Hals. Auch die fanden keine Gründe für die Explosionen – irgendwann aber einen Vorwand für die von Tisuis inoffiziell befohlene Schliessung der Fabrik. Beleidigt verkaufte Hermand Kaeser sein Werk an eine chinesische Firma aus Port-Louis, die es auseinandernahm und in Voltes wieder aufstellte, wo seither chinesische Würste auf den Maschinen produziert werden. Hermand Kaeser zog sich ins Elsass zurück, wo die Familie ursprünglich herstammt.

Seiner Tochter Caroline hinterliess er einen stark beschädigten Ruf und ein leicht lädiertes Schloss im Südosten von St-Anne en Pyès – ein 1896 in mittelalterlichem Stil errichtetes Kastell mit Zugbrücke und Wassergraben. Der Bau war von einem Urgrossvater Carolines veranlasst worden, der ein  Faible für die Welt der Ritter hatte und hier sogar spiele mit Pferden und Lanzen veranstaltet haben soll. Damals produzierte «Kaeser Charcuteries» in einem speziell für diesen Zweck errichteten Gebäude, das Teil der Schlossanlage war. Der Umriss des Kastells wurde mit den Jahren zum Logo des Unternehmens – die Produktion allerdings wurde in den späten 1950er Jahren mechanisiert und in dafür besser geeignete Räumlichkeiten am Dorfrand von St-Anne en Pyès verlegt.

Caroline Kaeser kam 1951 zur Welt und hatte gar nichts mit der Charcuterie am Hut. Sie studierte Kunstgeschichte in Port-Louis, konzentrierte sich auf spanische Barockmalerei und hielt sich längere Jahre in Madrid auf. Zurück auf Santa Lemusa arbeitete sie als freie Kuratorin und Autorin für verschiedene Medien. Als das Familienunternehmen geschlossen wurde, tangierte sie das beruflich und ökonomisch nur wenig, ja sie hatte gar die Mittel, das Schloss einer kleinen Rennovation zu unterziehen. Dann aber gerieten die Zeitungen und Verlage in die Krise und begannen, ihre Schreiber immer schlechter zu bezahlen. Irgendwann konnte Caroline nicht mehr von ihrer Arbeit leben, geschweige denn ein ganzes Schloss im Schuss halten. Zunächst versuchte sie, an die Familientradition anzuknüpfen und experimentierte mit der Herstellung verschiedener Sülzen. «Im Verlauf eines Jahres habe ich wohl so viele Schweine- und Kalbsbeine ausgekocht, wie es Tiere in St-Anne en Pyés gibt. Die Resultate waren ordentlich und ich konnte manches Stück über lokale Metzger und auf Märkten absetzen. Aber meine Sülzen machten viel zu viel Handarbeit – um sie ökonomisch sinnvoll herzustellen, hätte ich in Maschinen investieren müssen. Und da war ich plötzlich nicht mehr sicher, ob der Weg der Sülze auch wirklich der richtige war».

Für die Herstellung der Sülzen brauchte Caroline Kaeser auch einigen Wacholder, den sie jeweils selbst in der Umgebung ihres Schlosses sammelte. Wacholder spielt in der Geschichte von St-Anne en Pyès eine wichtige Rolle (siehe St-Anne des Biches), die Zapfen (Beeren) werden auch «Perles de St-Anne» genannt. Die Metzger hatten Caroline nebst den Sülzen auch immer Wacholder für ihre eigenen Wurstwaren abgenommen. Irgendwann kam sie dann auf die Idee, dass sich mit Wacholder wohl leichter ein Auskommen würde finden lassen als mit den aufwändigen Gelatinekunststücken. Also begann sie, die kleinen Scheinfrüchte professionell zu sammeln und zu vermarkten. Das Geschäft lief gut an und bald belieferte «Chato Kaeser», wie Caroline ihre kleine Firma taufte, Metzgereien, Restaurants und Nahrungsmittelveredler auf der ganzen Insel. Einen zusätzlichen Stoss nach vorne erhielt die Firma im Jahr 2002 als der Wacholder aus St-Anne en Pyès mit einem AOC-Zertifikat ausgezeichnet wurde.

Heute kann Caroline Kaeser mit den Einkünften auch den Unterhalt des Schlosses finanzieren, wo sie ausserdem eine kleine Table d'hôte betreibt («La table di Chato»). Dass sie hier auch Sülzen aller Art serviert, versteht sich von selbst. Zu ihren Spezialitäten gehören aber auch Wildgerichte, wobei sie das Fleisch von der Société de Chasse «Léopold» bezieht. Und natürlich spielt auch der Wacholder immer wieder eine prominente Rolle in der einen oder anderen Kombination.

Wer Lust hat, kann sich für das Essen als Ritter verkleiden – die entsprechenden Requisiten hat Caroline von ihrem Urgrossvater geerbt. Ob der Rehschlegel wirklich besser schmeckt, wenn man einen Stahlhelm auf dem Kopf hat oder den Schleier eines Burgfräuleins, muss jeder Gast für sich selbst herausfinden.

Zwar wurde Schloss Kaeser erst 1896 errichtet – es mutet aber an wie aus der grossen Zeit der Ritter. Das war auch die Intention seines Erbauers, der hier gar Spiele mit Pferden und Lanzen veranstaltet haben soll.
Samuel Herzog, Mitarbeiter von HOIO, rüstet sich für die Begegnung mit einem Stück Wild an Caroline Kaesers «Table di Chato».
In der Gegend von St-Anne en Pyès wächst ein ausgezeichneter Wacholder, der 2002 mit einem AOC-Zertifikat ausgestattet wurde.

Rezepte aus dem «Chato Kaeser»

Siehe auch

First Publication: 10-10-2012

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