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Zungenkuss mit dem Planeten Erde

Ihla Grande (Brazil) Perequê
Unterhalb der Cachoeira da Feiticeira
Montag, 14. Dezember 2013

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Für Zeitgenossen, die nicht mit der Machete in der Hand gross geworden sind, gibt es oft zwei Sorten von Regenwald. Es gibt den äusseren Dschungel, in dem es nur sehr selten vorkommt, dass man eine Schlange durchs Gebüsch gleiten sieht – und es gibt den inneren Urwald, in dem es vor lauter hochgiftigem Getier nur so wimmelt. Da ist kein Busch, in dem sich nicht eine fiese kleine Schlange zu einem überspannten «S» aufzöge, um geräuschlos und pfeilschnell aus ihrer Unsichtbarkeit herauszuschiessen und im Hals des ahnungslosen Wanderers zwei kleine Löcher zu hinterlassen. Löcher, aus denen nur lächerlich wenig Blut tropft, das aber mit einer farblosen Flüssigkeit vermischt ist. Nach wenigen Sekunden wird die Umgebung der Löcher weiss, gräulich weiss etc.

Wahrscheinlich ist es so, dass auch im äusseren Wald so manches Schlänglein im Busch sitzt. Wir merken ja auch, wie sich die Schreie der Vögel, das Tröten und Zirpen der Insekten und Frösche verändert wenn wir in ihre Nähe kommen – und wir können daraus schliessen, dass wir beobachtet und wahrgenommen werden. Wir sehen nicht viel, denn fast alles Getier in diesem Wald ist auf Tarnung aus – sei's, um sich selbst vor Angreifern zu verbergen oder die Chancen der Jagd zu erhöhen. Das sichtbarste Tier hier, das sind wir. Also können wir mögliche Gefahren auch nicht aktiv vermeiden – denn was wir nicht sehen, das können wir auch nicht umgehen. Bleibt allein der Trost, dass wir nicht in das Beuteschema der Tiere hier passen. Wir müssen also darauf vertrauen, dass sich der Biss in unseren Hals aus ökonomischen Gründen nicht lohnt.

Ein Marsch durch den Dschungel ist so zunächst eine Wanderung vom inneren Wald zum äusseren Wald. Am Anfang haben wir, da wir die Situation nicht kontrollieren können, bei jedem Schritt Angst vor Konsequenzen. Mit der Zeit aber beginnen wir, uns dem Wald hinzugeben, darauf zu vertrauen, dass er uns nichts antut. Vielleicht ist es ein wenig wie beim Küssen – auch da zählen wir darauf, dass uns der andere Mund nicht plötzlich böse zu beissen beginnt. Die Umgebung ist auf jeden Fall ähnlich feucht – derart nass, dass die Grenzen zwischen Haut und Wald, zwischen uns und unserer Umgebung verschwimmen. So ein Dschungelgang ist denn vielleicht auch nichts anderes, als ein heftiger Zungenkuss mit dem Planeten Erde.

Siehe auch

  • Ein Rezept zur Episoda: Moqueca «Ihla Grande» (Eintopf aus Fisch, Garnelen, Tomaten, Limettensaft, Kokosmilch und Palmöl)
  • Episoda – eine Sendung für Santa Lemusa (Einführung)
  • Biographie von Peter Polter

First Publication: 27-6-2013

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