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Logbuch der «PS Narina»

Tag 29

Luft- / Wassertemperatur: 27°C (15°C nachts) / 24°C

Windrichtung / Bft: Nordost / 1-2

Gebiet: MARE ROBIGINIS (flache Brandung) – Seekarte der Reise

Kombüse: Gebänderter Papageifisch (500 g) filetieren und von der Haut ziehen, Fleisch sorgfältig abspülen und trocken tupfen. Saft von 40 g Ingwer, 4 Zehen Knoblauch, 1 gehäufter EL helles Miso, 2 EL Sojasauce, 3 EL Reisessig, 1 knapper EL Sesamöl, 1 TL Zucker im Mixer zu einer Sauce pürieren. Etwas Rauke, fein geschnittenen Radicchio, Streifen von gelber Paprika, ein paar halbierte Kirschtomaten auf Tellern auslegen. Etwas Sauce darüber träufeln. Fisch salzen und pfeffern, in etwas Öl 5 Minuten je Seite braten und auf den Salat legen. (Weitere Rezepte vom Smut der «PS Narina»)

Beobachtungen

Die bizarren Träume eines unruhigen Morgens lassen mich den ganzen Tag lang nicht völlig los. Selbst auf Ameisen-Augen muss ich einen zerzausten Eindruck machen. Jedenfalls schaut mich Oskar an, als ob er sagen wolle: «Kann ich dir irgendwie helfen?» Wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein – wobei Ameisen doch immer so beflissen wirken wie echte Helfernaturen.

Das erinnert mich an einen verstörenden Moment in meiner Schulzeit. Eines Tages kam ein Berufsberater zu Besuch und stellte uns die Frage, was für eine Art von Arbeit wir uns für unsere Zukunft vorstellen könnten, worauf es uns dabei vor allem ankomme. Die Auswertung unserer kurzen Aufsätze zum Thema ergab, dass es all meinen Mitschülerinnen und Mitschülern vor allem darauf ankam, in ihrem Leben anderen Menschen helfen zu können – als Ärzte oder Sozialarbeiter, Polizisten, Lehrer, Feuerwehrleute, Kindergärtner… Die Sache verursachte mir schlaflose Nächte. Wenn sich alle in ihrem Leben darauf konzentrierten, anderen Menschen zu helfen, dann musste dabei, so rechnete ich mir aus, notgedrungen jemand übrig bleiben – einer, der diese Hilfe nur in Empfang nahm, ohne selbst als Helfer zur Tat schreiten zu können. Und natürlich war klar, dass nur ich diese Person sein konnte: das Ende der Hilfskette, ein Aussätziger, ein wertloser Schmarotzer. Einige Tage lang wagte ich es kaum, meinen Mitschülern richtig in die Augen zu schauen.

Zwar habe ich mich irgendwann von der Vorstellung befreit, ich müsse mich zwingend als einen fetten Mitesser in der reinen Haut der Gesellschaft ansehen. Ein gewisses Misstrauen aber ist geblieben. Und sobald mir jemand mit leuchtenden Augen erzählt, dass er es als das höchste Ziel in seinem Leben ansehe, anderen Menschen zu helfen, habe ich instinktiv das Gefühl, dass hier irgendwo ein kleiner Denkfehler vorliegen müsse.

Nächster Tag (30)

First Publication: 5-2-2013

Modifications: 9-4-2013, 11-11-2014