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Ochsenschwanz «Schosi» hat einen feierlichen Fleischgeschmack mit lauter Binnennoten, die gut in eine sommerliche Berghütte passen. (Riederalp, Juni 2013)

Ochsenschwanz «Schosi»

Geschmorter Ochsenschwanz mit einem ‹exotischen› Trio aus getrockneten Tomaten, geräuchertem Chili und Canelo – ein Rezept zu Peter Polters Episoda 120825 Bettmerhorn

Im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts wanderten zahlreiche Walliser nach Amerika aus, vor allem nach Argentinien. Besonders viele liessen sich in San Jerónimo Norte im Nordosten des Landes nieder, wo heute noch manche Einwohner den Walliser Dialekt beherrschen. Die Siedlung soll 1858 von Ricardo Foster und Lorenzo Bodenmann zusammen mit anderen Auswanderern aus Visperterminen (Tärbinu) gegründet worden sein. Eine gute Zusammenfassung der Geschichte der Walliser Auswanderer liefert eine Maturaarbeit von Melanie Ritz aus dem Kollegium Spiritus Sanctus Brig, die sich integral auf der Webseite des virtuellen Walliser Museums findet.

Das nachfolgende Rezept ist das Resultat der wahrscheinlich eher fantastischen Vorstellung, einer dieser Auswanderer, nennen wir ihn Josef, also Schosi, habe irgendwann beschlossen, die beschwerliche Reise über den grossen Ozean noch ein Mal auf sich zu nehmen, um der Heimat einen Besuch abzustatten. Wir stellen uns vor, dass Schosi in seinem Gepäck auch drei typisch südamerikanische Lebensmittel mitführte, mit denen er seine Bekannten überraschen wollte – in getrockneter Form natürlich, dauerte die Reise doch mehrere Wochen: Getrocknete Tomaten, getrocknete und vielleicht zusätzlich durch Rauch haltbar gemachte Chilis, und Canelo, die getrockneten Früchte der Winterrinde.

Die Tomate stammt ursprünglich aus Mittel- und Südamerika. Sie wurde zwar schon in der frühen Kolonialzeit nach Europa importiert, doch lange nur als Zierpflanze gehalten. Erst um 1800 begann man sie in einzelnen Ländern auch vermehrt zu essen – zunächst offenbar vor allem in Italien und Grossbritannien. Die deutschsprachigen Länder brauchten etwas länger, die Tomate für ihre Küche zu entdecken. Laut dem «Standard» vom 7. August 2011 wurden Tomaten auf der Wiener Weltausstellung 1873 präsentiert, «…doch auf den Märkten gab es sie erst um 1900 – und es dauerte bis nach dem Zweiten Weltkrieg, dass sie tatsächlich überall erhältlich war: In manchen Alpentälern gab es sie erst in den 50er-Jahren, als dort die ersten Supermärkte aufsperrten.» Wann die Tomate das Wallis erreichte, wissen wir nicht – aber mit grosser Wahrscheinlich dürften sie für die Walliser im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts noch eine ziemliches Exotikum gewesen sein.

Noch länger dauerte es, bis der Chili seinen Einzug hielt in den Küchen des nördlichen Europa. Und Canelo (Drymis winteri), das wild in den Wäldern Patagoniens wächst, findet auch heute nur sehr selten den Weg über den Atlantik – weshalb wir Canelo in unserem Rezept durch den ähnlich schmeckenden und botanisch verwandten Tasmanischen Pfeffer (Drimys lanceolata) ersetzen.

Auf jeden Fall dürften Schosis Mitbringsel den Daheimgeblieben ziemlich exotisch vorgekommen sein. Also stellte sich der Heimkehrer höchstpersönlich an den Herd, um das Mitgebrachte in eine bekömmliche Form zu bringen. Er kombinierte es mit Dingen, die es damals im Wallis ganz bestimmt gab: Gutes Rindfleisch (auch wenn es sicher nicht alltäglich war), Trockenfleisch, Zwiebeln, einen nicht zu süssen Weisswein (zum Beispiel Johannisberg, der laut dem Walliser Reb- und Weinmuseum 1862 erstmals erwähnt wird), einen Schluck Aprikosenschnaps und ein Sträusschen Alpen-Thymian. Er kochte Ochsenschwanz, denn es gab viel zu erzählen – und könnte man sich dafür eine bessere Umgebung vorstellen als die sich allmählich entwickelnden Düften des ersten Walliserisch-Südamerikanischen Fusion-Gerichts der Geschichte?

Ochsenschwanz «Schosi» hat einen feierlichen Fleischgeschmack mit lauter Binnennoten, die gut in eine sommerliche Berghütte passen. Er schmeckt deftig geröstet, dezent rauchig, leicht süss und ein wenig nach Unterholz. Das Gericht ist auch ein bisschen scharf – für einen Oberwalliser Gaumen des mittleren 19. Jahrhunderts wahrscheinlich sogar «enz schorf». Das Fleisch sollte so lange gekocht werden, dass es sich fast von alleine vom Knochen löst – dann ist es butterzart und ein wenig gelatinös, also herrlich klebrig und schlabberig. Es scheint uns im Zweifelsfall auch nicht allzu schlimm, wenn das Fleisch schon etwas vom Knochen gefallen ist – ein zäher Schlepp ist ganz bestimmt der grössere Genussverderber.

Das Gelingen des Gerichts hängt weitgehend vom Topf ab, den man verwendet. In einem schweren Topf mit einem Deckel, der das Kondenswasser wieder in das Gargut zurückführt, kann das Fleisch stundenlang vor sich hin köcheln. Besitzt man keinen solchen Topf, dann muss man vermutlich immer wieder Flüssigkeit angiessen.

Die angegebenen 5 bis 6 Stunden Kochzeit mögen jenen lang erscheinen, die noch nie selbst Ochsenschwanz zubereitet haben. Und tatsächlich gibt es ja auch Kochbuchautoren, die ihren Oxtail in nur zwei Stunden weich bekommen (wenn auch sicher nicht ohne himmlischen Beistand). Tatsächlich sind 5 Stunden eher knapp bemessen: Es kann zwar sein, dass das Fleisch nach 5 Stunden schon von alleine vom Knochen fällt und also butterweich ist. Es kann aber auch sein, dass man einen Ochsenschlepp erwischt hat, dessen Fleisch auch nach 6 Stunden noch zäh und fest am Knochen sitzt – dann muss man die Kochzeit entsprechend verlängern. Wenn man Pech hat, dann erwischt man Stücke von verschiedenen Schwänzen mit unterschiedlichen Kocheigenschaften, was eine akkurate Anpassung der Schmorzeit natürlich erschwert. Es ist deshalb wohl besser, einen ganzen Schlepp bei einem Metzger zu bestellen und vor Ort in Stücke zersägen zu lassen.

Wie fast alle Schmorgerichte, schmeckt auch der Ochsenschwanz «Schosi» wieder aufgewärmt ganz besonders gut. Es bietet sich deshalb an, die Kochzeit zu staffeln. Zum Beispiel kann man den Ochsenschwanz am Morgen aufsetzen und 4 Stunden köcheln lassen. Dann lässt man ihn abkühlen und ziehen. Um 16 h bringt man ihn nochmals zum Kochen, köchelt 1 Stunde und lässt ihn wieder abkühlen. 1 Stunde vor dem Essen dann bringt man das Gericht wieder zum Kochen und hebt schliesslich den Deckel ab, damit die Sauce ein wenig eindicken kann.

Zum Ochsenschwanz «Schosi» passen zum Beispiel Pellkartoffeln sehr gut, auch Polenta ist lecker. Als Wein gefällt uns dazu ein Pinot Noir aus Visperterminen mit einem dezenten, gut eingebundenen Brombeeraroma.

Kochzeit 5 bis 6 Stunden

Zutaten (für 2 bis 4 Personen)

1.2 kg Ochsenschwanz, in etwa 5 bis 7 cm langen Stücken

3 TL Salz

2 TL schwarzer Pfeffer, gemahlen

3 EL Pflanzenöl (zum Beispiel Rapsöl) zum Anbraten des Fleisches

1 EL Pflanzenöl zum Anbraten von Zwiebeln, Trockenfleisch etc.

2 Zwiebeln, in feinen Scheiben

50 g Trockenfleisch vom Rind, feine Tranchen, in Streifen geschnitten

12 getrocknete Tomaten, in Streifen

4 Chipotle Chilis (oder andere geräucherte Chilis), 30 Minuten in 2 dl heissem Wasser eingelegt (auch dieses Einweichwasser wird verwendet)

1 gehäufter EL Tasmanischer Pfeffer (als Ersatz für das argentinische Canelo)

1 kleines Sträusschen Berg-Thymian, mit Kochschnur zusammengebunden

4 dl Weisswein (zum Beispiel ein «Johannisberg» aus Visperterminen)

2 EL Aprikosenschnaps

Ein paar Thymianblümchen für die Dekoration (natürlich kein Muss, aber ein schöner Kontrast zum dunklen Fleisch)

Zubereitung

  1. Das Fleisch mit Salz und Pfeffer bestreuen. Das Öl zum Anbraten des Fleisches in einem schweren Topf erwärmen. Das Fleisch darin 10 bis 15 Minuten anbraten bis es allseits gut Farbe angenommen hat. Fleisch aus dem Topf heben und beiseite stellen.
  2. Nochmals 1 EL Pflanzenöl in den Topf geben. Die Zwiebeln und das Trockenfleisch beigeben und etwa 2 Minuten dünsten, dann die getrockneten Tomaten und die Chilis dazugeben und kurz mitdünsten.
  3. Den Ochsenschwanz wieder in den Topf heben, den Tasmanischen Pfeffer und das Sträusschen Thymian zugeben, Wein, Einweichwasser der Chilis, Aprikosenschnaps und 3 dl Wasser angiessen. Gut umrühren und aufkochen lassen. Herd auf die niedrigste Stufe zurückschalten, Deckel aufsetzen und 4 bis 5 Stunden köcheln lassen. Gelegentlich umrühren.
    Die Flüssigkeit in dem Topf sollte während dieser Zeit nach Möglichkeit nur ganz leicht brodeln.
  4. Einen Kochlöffel zwischen Topf und Deckel klemmen, nochmals 1 Stunde köcheln lassen. Öfters prüfen ob noch genügend Flüssigkeit im Topf ist. Dabei sollte die Sauce ein wenig eindicken – aber natürlich nicht gänzlich verschwinden.
    Scheint einem die Sauce noch allzu flüssig, kann man den Deckel auch ganz abheben
  5. Das Thymian-Sträusschen (so weit noch intakt) entfernen. Fleisch auf Teller anrichten und mit ein paar Thymianblümchen dekorieren.
An einem schönen Sommertag in den Walliser Bergen kann der Kochprozess mit einem Spaziergang beginnen. Wer den Thymian nicht von alleine findet, folgt ganz einfach den Bienen. (Goppisberg, Juni 2013)
Ein Sträusschen Thymian ist im Nu gesammelt - es kann hälftig zum Kochen und hälftig als Verzierung eingesetzt werden.
Die Zutaten des ersten walliserisch-südamerikanischen Fusions-Gerichts der Geschichte. Aus der alten Heimat: Fleisch, Wein und Zwiebel. Aus der neuen Heimat: Tomaten, Chili und Canelo. (Riederalp, Juni 2013)
Das Fleisch wird auf allen Seiten gut angebraten.
Das angeröstete Gemüse. Wir verzichten auf Knoblauch weil wir annehmen, dass er im Wallis des mittleren 19. Jahrhunderts eher als Medizin denn als Gewürz verwendet wurde.
Das Gelingen des Gerichts hängt weitgehend vom Topf ab, den man verwendet. Er sollte gut verschliessbar und so ausgerüstet sein, dass das Kondenswasser wieder in das Gargut zurückgeführt wird: Ochsenschwanz «Schosi» zu Beginn der Kochzeit.
Nach 4 Stunden Kochzeit hat sich die Konsistenz stark verändert. Wenn das Fleisch nun ausreichend zart ist, lässt man das Gericht ohne oder mit schräg aufgesetztem Deckel weiterköcheln bis die Sauce die gewünschte Festigkeit hat.
Wenn im Frühsommer der Thymian blüht, kann man die Teller mit ein paar Zweiglein dekorieren. (Juni 2013)
Auf keinen Fall zurücklassen sollte man die feine Schicht gelatinöser Masse, die auf den Gelenkköpfen sitzt.
Mit etwas Glück (oder Zurückhaltung) bleibt vom Ochsenschwanz «Schosi» etwas übrig. In diesem Fall klaubt man das Fleisch vom Knochen, gibt es etwas zerkleinert zurück in die Sauce und friert diese portionenweise ein. Bei Bedarf lässt sich so im Nu ein herrliches Pastagericht zaubern. Sauce aus dem Gefrierschrank nehmen, mit etwas Wasser in einer grossen Bratpfanne oder einem Wok auftauen und erwärmen. Pasta kochen bis sie fast al dente ist, dann abgiessen und etwas vom Kochwasser auffangen. Pasta zu der Sauce schütten, mit etwas Pasta-Kochwasser verdünnen und alles unter ständigem Rühren erwärmen. Da die Sauce sehr kräftig ist, reicht eine Tasse davon gut für zwei Portionen Pasta.
Wer nicht Zeit oder Geduld für einen Ochsenschwanz hat, kann auch auf Lammragout ausweichen (am besten natürlich Fleisch vom Schwarznasenschaf). Nach obigem Rezept haben wir hier 800 g Lammvoressen ohne Knochen zubereitet – dabei haben wir lediglich das Salz ein wenig reduziert und das Fleisch nur mit Einweichwasser und Wein abgelöscht (die zusätzlichen 3 dl Wasser haben wir ausgelassen). Das Ragout war schon nach zwei Stunden butterzart. Zum Fleisch gab es Polenta-Schnitten aus dem Ofen. (Juni 2013)

First Publication: 10-6-2013

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