Pfeffer

Über Pfeffer schreiben zu wollen, erscheint wie ein massloses Unterfangen. Sagt man «Pfeffer», dann ist das ein wenig, als sage man zum Beispiel «Stern» – und bei genauer Betrachtung haben die kleinen Körner ja auch etwas von fremden Himmelskörpern. Masslos, weil Pfeffer das Gewürz aller Gewürze ist – in grüner, rötlicher, weisser, vor allem aber in schwarzer Hinsicht. Das Land, wo der Pfeffer wächst, ist masslos weit weg – darum wünscht man seine Feinde dahin, grad, als wäre es die Hölle selbst. Pfeffer war einst masslos teuer, Kriege wurden um seinen Besitz geführt, und massloser Verdienst wurde mit ihm gemacht, längst nicht nur von den reichen Pfeffersäcken.

Masslos ist der Pfeffer auch, weil er in den meisten Rezepten kein Mass findet: Während die harmlosesten Gewürze in halben Teelöffeln oder gar Messerspitzen eine sehr genaue Dosierung erfahren, heisst es beim kräftigen Pfeffer meist einfach nur «pfeffern» oder «mit Pfeffer abschmecken» – ganz, als sei ein jeder Koch der beste Experte für dieses Gewürz, oder als wisse der Pfeffer selbst, wann er genug ist.

Was in der Küche noch nicht gepfeffert ist, das ist noch unvollständig, roh gewissermassen, Natur – erst wenn der Pfeffer draufgeflockt wird, verwandelt sich das Rohe in Gekochtes, in Speise, in Kultur, eine masslose Transformationskraft ist da am Werk. Der Pfeffer ist auch das einzige Gewürz, das in Verbform auftreten kann – was einer Art sprachlichen Parthenogenese gleichkommt, bringt sich doch der Pfeffer selbst zum Einsatz, derweilen alle sonstigen Gewürze darauf angewiesen sind, dass andere Worte sie in Gericht und Gerede bringen. Als exotisches Gewürz der ersten Stunde ist der Pfeffer auch mehr als jede andere Spezies ein Stück Welt – das Pfeffern also ein Stück Welteroberung oder zumindest Weltumarmung, was in jedem Fall den Verlust jedes Selbstmasses bedeutet. Ja Pfeffer begnügt sich nicht damit, Gewürz zu sein – in der Form des Pfeffersprays ist er sogar Waffe und kann folglich, wie jede andere Waffe auch, nur masslos eingesetzt werden.

Wie also kann man über diesen masslosen Pfeffer schreiben? Indem man masslose Worte findet? Worte wie Gott, Universum, Tod, Liebe, Angst, Ich. Vielleicht ist es das, vielleicht ist der Pfeffer das Ich unter den Gewürzen – fast immer mit dabei und bei bewusster Wahrnehmung immer mit einem kleinen, brennenden Schmerz verbunden.

Dieser Text erschien erstmals am Samstag, 19. April 2014 als Teil der Serie «Mundstücke» (7) im Feuilleton der «Neuen Zürcher Zeitung», S. 55.