D | E  

Neuste Beiträge

HOIO und Cookuk

  • Das Tagebuch von Raum Nummer 8 (Susanne Vögeli und Jules Rifke)
  • HOIO-Rezepte in der Kochschule – das andere Tagebuch

Etwas ältere Beiträge

Grosse Projekte

Mundstücke

Gewürze aus Santa Lemusa

Abkürzungen

Kollektive Erlösung

Bucharest (Rumania) Izvor Park
Calea 13 Septembrie (nahe der Piațsa Arsenalului)
Freitag, 23. Mai 2014

Ort auf Weltkarte anzeigen

Für gläubige Rumänen sind Kirchen so etwas wie Löcher, durch die Gott sie sehen kann – und sie auf ihn hoffen. Wenn sie an einem solchen Tempel vorbeikommen, dann wenden sie sich dem Gebäude frontal zu, halten für einen Moment inne und bekreuzigen sich wenigstens ein Mal. Das tun sie auch, wenn sie zum Beispiel in einem Tram sitzen oder Auto fahren. Ja ich habe sogar einen Läufer in einem knallbunten Jogging-Anzug gesehen, «Nike» von Kopf bis Fuss, der vor der Biserica Sfântul Anton in eine Art seitlichen Schritt verfiel und sich zwei Mal bekreuzigte, um erst dann wieder geradeaus weiter zu traben – ein Cross-Training eigener Art.

Wie fühlten sich wohl die Gläubigen, als Nicolae Ceauçescu rund um diese mehrheitlich kleinen Kirchlein seine Stadt in die Höhe schiessen liess? Den mächtigsten Schatten wirft hier bis heute die zwischen 1983 und 1989 aus dem Boden gestampfte Casa Poporului, das grösste Bauwerk Europas, die Krönung einer megalomanischen Stadtgestaltung, wie sie keine andere Diktatur dieser Welt umgesetzt hat.

Hinter diesem Symbol massloser Tyrannei liegt der Izvor Park. Hier baut die Orthodoxe Kirche Rumäniens seit 2007 die Catedrala Mântuirii Neamului Românesc, die Kathedrale für die Erlösung des Rumänischen Volkes. Laut dem Erzbischof Bartolomeu Anania ein dringend nötiges Unterfangen, muss doch «Erlösung kollektiv erlangt werden, durch die ganze Nation.» Es soll die grösste orthodoxe Kirche der Welt werden – Zentrum eines gigantischen, mehrheitlich unterirdischen Komplexes mit Hotels, Restaurants, Shops, Werkstätten etc. Bis zu 125'000 Gläubige sollen hier gleichzeitig empfangen werden können.

Das Areal ist von hohen Mauern und Zäunen umstanden. An der Calea 13 Septembrie (nahe der Piațsa Arsenalului) aber steht eine Art Kapelle, in der sich die Gläubigen jetzt schon auf den Ort einstimmen können. Und über den Holzzaun, der den bescheidenen Garten des kleinen Gotteshauses umgibt, habe ich an einer Stelle auf das Gelände hinüber spähen können. Ich habe die Baustelle des nationalen Seelenrettungsbootes im Vordergrund gesehen, dahinter ragt Ceauçescus Volks-Titanic in den Himmel – und ich habe mich unvermittelt gefragt, wie man das nennen soll: Fortschritt? Entwicklung? Verbesserung? Oder einfach nur: grosses Loch?

Siehe auch

  • Ein Rezept zur Episoda: Ciorbă de burtă (Suppe mit Rinderkutteln, Saurer Sahne und Knoblauch)
  • Episoda – eine Sendung für Santa Lemusa (Einführung)
  • Biographie von Peter Polter

First Publication: 3-6-2014

Modifications: