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Ein anderer sein

150925 London (United Kingdom) Greenwich, St. Alfege Church (Karte)

Freitag, 25. September 2015

Heute Nacht war ich ein andrer Mensch. Halb war's im Traum, halb lag ich wach – und führte Punkt um Punkt an zum Beleg, dass ich nicht mehr derselbe sei. Am Morgen dann waren die Beweise weg – eine Stimmung aber war noch da, die Ahnung noch nicht ausgeschöpfter Möglichkeiten.

Was wäre denn das, eine andere Existenz? Wohl einfach eine, in der andere Aspekte von mir zur Sprache kämen, andere Akzente gesetzt würden – denn der andere Mensch kann ja nur im Einen angelegt sein. (Man neigt dazu, das zu vergessen – so wie man ausblendet, dass man sterben wird.)

An diesem Morgen begleitet mich die aufregende Vorstellung, dass sich in Nacht und Traum ein Portal aufgetan hat, durch das ich um ein Haar in eine andere Existenz hätte schlüpfen können. Vielleicht wird das wieder geschehen und vielleicht werde ich, wenn ich mich im wachen Zustand genug darauf vorbereite, dann den Wechsel schaffen.

Aber wahrscheinlich ist eine so rabiate Veränderung gar nicht möglich. Vermutlich können wir das Andere in uns nur mit kleinen Gesten entdecken – indem wir in Details anders handeln als sonst, kleine Gedanken in eine etwas andere Richtung lenken, kleine Störungen ernst nehmen, unpassend wirkenden Einfällen folgen.

Sind mir diese kleinen Mutationen nicht schon Herausforderung genug? Will ich überhaupt mehr als das? Manchmal zweifle ich daran. Und manchmal vermute ich, dass sich hinter der Sehnsucht nach der ganz anderen Existenz vielleicht bloss der Wunsch nach ewigem Leben verbirgt.

Ich gehe an diesem Morgen am Kirchhof der St. Alfege Church in Greenwich vorbei und bleibe einen Moment vor den verwitterten Grabsteinen stehen, die mich frech anzugrinsen scheinen – und da kommt mir dann doch der trotzige Gedanke in den Sinn, dass spätestens mein Tod beweisen wird, dass ich anderer Mensch war. Aber natürlich werde ich nie wissen, ob das auch stimmt.

Siehe auch

First Publication: 17-10-2015

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