D | E  

Neuste Beiträge

HOIO und Cookuk

  • Das Tagebuch von Raum Nummer 8 (Susanne Vögeli und Jules Rifke)
  • HOIO-Rezepte in der Kochschule – das andere Tagebuch

Etwas ältere Beiträge

Grosse Projekte

Mundstücke

Gewürze aus Santa Lemusa

Abkürzungen

Diese kleinen Häuschen im Zentrum von Castebar zeugen von dem Wohlstand, der hier in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts herrschte – als das Unternehmen von Laurent Edel auf Hochtouren lief.
Boote und Pfahlbauten am Meer.

Castebar

Bezirk: Sud (Vorwahl: 06) – Karte
Einwohner: 480 (im ganzen Gebiet, Mai 2011)
Kurzbeschreibung: Das südlichste Dorf der Insel war einst die Heimat der Variser und ist ausserdem berühmt als Fundort des ältesten Kochbuchs von Santa Lemusa: «Une feste en cuisine» aus der Feder von Jules Iette.
Spezialitäten: Fenchel («Fnui»)

«Castebar erinnert mich immer an eine Dame in Abendrobe, die während der Oper in ihrem Stuhl eingeschlafen ist: elegant und ein wenig zerknittert.» Dies schreibt Georgette Muelas («Santa Lemusa», S. 208) in den 1950er Jahren – viel hat sich seither in der kleinen Gemeinde ganz im Süden der Insel nicht getan. Immer noch wirkt das Dorf mit seinen hübschen Häuschen aus der Zeit um 1900 elegant und ein wenig verschlafen.

Castebar liegt etwas zurückgezogen über dem Ufer Dauphine, die so heisst weil sich früher hier Delphine getummelt haben sollen. Heute fischt man hier vor allem noch den kapitalen Faul-Wels (Phractocephalus pigritus), der wegen seiner trägen Bewegungen auffällt und schon von Muelas (S. 212) als «le paresseux parmi les poissons», also «das Faultier unter den Fischen» beschrieben wurde. Das Tier wird auch Omega-Wels genannt weil fast alle Exemplare auf der Kiemen-Panzerung ein rotes Zeichen tragen, das an ein Omega erinnert. Sein Fleisch ist je nach Jahreszeit mehr oder weniger fett und gilt als Delikatesse.

Die Region war spätestens ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. besiedelt, wie archäologische Funde gezeigt haben (Armand Maggisano: «Un peuple en mouvement». In: «Revue historique», no. 79, 2012, S. 166). Von diesen früheren Bewohnern aber wissen wir fast nur, dass sie auf den etwas erhöhten Plätzen über dem Ufer der Dauphine lebten und ein Tier jagten und assen, das wie eine grosse Ziege ausgesehen haben muss – ausgestattet jedoch mit einem sehr langen Schwanz und zwei sehr eng stehende Hörnern direkt über dem Nasenbein.

Im ersten nachchristlichen Jahrhundert besetzten die Variser das Gebiet. Ein Volk, das wahrscheinlich aus Europa einwanderte und zwar lateinische Inschriften hinterliess, jedoch Kabha sprach – ein Idiom, das keltischen Ursprungs sein könnte, wie Maggisano (S. 168) vermutet. Die Variser beherrschten die Region bis ins 6. Jahrhundert, dann wurden sie von Einwanderern überlagert, die zu einem grossen Teil Französisch sprachen. Die Erinnerung an die Variser wird heute noch von der Loge de Castebar gepflegt.

Über das mittelalterliche und frühneuzeitliche Castebar weiss man nicht viel. Wie die Siedlung im 14. Jahrhundert ausgesehen hat, als hier das Kochbuch von Jules Iette entstand, wissen wir nicht. Aus dem Kochbuch selbst erfahren wir zwar einiges über die Insel, jedoch wenig über Castebar. Es gibt darin eine Karte von Santa Lemusa, auf der Castebar als einzige Ortschaft verzeichnet ist – was darauf hindeutet, dass die Bewohner des Südens keinerlei Kontakt hatten mit anderen Volksgruppen der Insel wie zum Beispiel den Kloi.

In einem Park im Zentrum des Dorfes stehen ein paar Blockhäuser, deren Fundamente ins 16. Jahrhundert zurückreichen sollen. In einem dieser Gebäude ist heute eine Art Heimatmuseum eingerichtet, das ein ziemliches Sammelsurium von Dingen präsentiert – unter anderem auch Dokumente und Gegenstände, die Laurent Edel bei seiner überstürzten Abreise hinterlassen hat.

Etwas am Rande des Dorfkerns steht auch eine kleine, aussen eher wüst restaurierte Kapelle, die im Inneren mit nicht eben kunstvollen Malereien aus dem 18. oder ev. auch erst 19. Jahrhundert versehen ist – schon Muelas macht sich über die «schielende Madonna von Castebar» lustig, die hier mit ihrem Kind auf dem Arm thront. Die eigentümliche Darstellung ist aber bei Besuchern sehr beliebt.

Greifbarer wird die Geschichte von Castebar aber erst wieder im Jahr 1894 als der aus Strassburg stammende Unternehmer Laurent Edel hier seine Usine «FABLE» (Farines Arômes Bouillons Laurent Edel) eröffnet. Die Fabrik stellt Mehle aus Maniok, Linsen, Bohnen und Grünkern, Gewürzmischungen und Fleischextrakt (später Brühwürfel), Teigwaren und Fleischkonserven her – ausserdem verschiedene Produkte aus dem berühmten Fnui (Fenchel) de Castebar (Tee, eine Essenz und eine Art Würzbutter mit Fenchelpollen). Fast dreissig Jahre lang vermarktet «FABLE» seine Erzeugnisse nicht nur mit Erfolg auf der ganzen Insel, sondern exportiert auch tüchtig – namentlich werden die Passagierschiffe verschiedener Transatlantik-Linien auf der Route von Bordeaux nach Montevideo mit «FABLE»-Ware versorgt. Auch der Kaffeehändler Aristide Lautremois soll 1911 mit diversen Konserven von Laurent Edel in Richtung Südpol aufgebrochen sein. Dieser Internationalität entspricht auch das Logo der Firma, das den Schriftzug «FABLE» stolz im Zentrum einer Kompassrose präsentiert.

Edel war Mitglied der Loge de Castebar und eine seiner erfolgreichsten Gewürzmischungen trägt denn auch den Namen der wichtigsten Gottheit der Variser: «Odom». Laut Muelas (S. 211) soll das Rezept des Gewürzes auf die Variser zurückgehen – Alice Babinski, die seit 2010 in Castebar eine Kochschule betreibt, hält dies indes für «sehr unwahrscheinlich».

Das Imperium von «FABLE» zerbrach 1923 an den Folgen der grossen Wirtschaftskrise. Innert kürzester Zeit machte Edel enorme Schulden und verliess die Insel schliesslich «bei Nacht und Nebel», wie Muelas schreibt – sein weiteres Schicksal ist unbekannt.

Die Fabrik hat sich nicht erhalten – immerhin aber einige der Häuser, die während dieser kurzen Spanne grossen Wohlstandes im Zentrum von Castebar gebaut wurden.

Der grösste Arbeitgeber in Castebar ist heute eine Töpferei, die fast hundert Personen beschäftigt und Geschirr (sowie Röhren, Ofen- und Bodenplatten etc.) für die ganze Insel herstellt: «Poteries du Sud SA». Der berühmte Fnui de Castebar wird zwar auf verschiedenen Feldern rund um das Dorf angebaut, spielt aber wirtschaftlich kaum eine Rolle.

Eine weitere Einnahmequelle ist der Tourismus. Castebar ist namentlich bei Anglern aus der Hauptstadt sehr beliebt, die sich gerne in den Hausflössern am Ufer der Dauphine für das Wochenende einmieten – die Jagd auf den Omega-Wels ist allerdings streng geregelt. Auch die Kochschule von Alice Babinski ist auf einem solchen Hausfloss eingerichtet. Zu den Attraktionen in der Gegend zählt ausserdem der Leuchtturm Le Bono, der unmittelbar vor der Mündung der Dauphine steht.

Der berühmteste Fisch aus der Dauphine ist sicher der kapitale Faul-Wels, der bis 1.4 m lang werden kann.
Ein Steg führt weit ins Meer hinaus.
Das Tier heisst auch Omega-Wels fast alle Exemplare auf der Kiemen-Panzerung ein rotes Zeichen tragen, das an ein Omega erinnert.
Boote, Häuser und Pfahlbauten am Meer.
Die Fundamente dieser Blockhäuser sollen aus dem 16. Jahrhundert stammen. Heute ist in dem linken Haus ein kleines Heimatmuseum eingerichtet, das allerlei Kurioses versammelt.
Ein kleines Holzhaus unter Bäumen.
Die «schielende Madonna von Castebar» stammt aus dem 18. oder 19. Jahrhundert und bei Besuchern sehr beliebt.
Boote, Häuser und Pfahlbauten am Meer.
Die Internationalität der Firma «FABLE» drückt sich auch in ihrem Logo aus.
Boote, Häuser und Pfahlbauten am Meer.
Hobby-Fischer aus der Hauptstadt mieten sich fürs Wochenende gerne in einer der schwimmenden Lodges ein, die am Ufer der Dauphine festgemacht sind und nebst Kost und Logis auch Boote für den Angel-Ausflug anbieten.
Boote, Häuser und Pfahlbauten am Meer.
Konkurrenz für die Angler: geschickt holt sich der Eisvogel sein Mittagessen aus dem Fluss.
Boote, Häuser und Pfahlbauten am Meer.
Der Leuchtturm Le Bono ragt unmittelbar vor der Mündung der Dauphine aus dem Meer.
Boote, Häuser und Pfahlbauten am Meer.

Siehe auch

First Publication: 19-11-2015

Modifications: