Es gibt weltweit ungefähr 300 Arten von Kammmuscheln (Pectinidae) – etwa zwei Dutzend sind kommerziell von Bedeutung: «Da die Arten kulinarisch gleich genutzt werden, unterscheidet sie der Handel nicht. Die besten Qualitäten kommen aus kalten Gewässern, in Europa etwa aus Fanggebieten um die Britischen Inseln und Frankreich, in Amerika aus Alaska oder Neufundland.» (Teubner, S. 92)
Die meisten Kammmuscheln leben am Meeresboden in Küstennähe und werden mit Bodennetzen gefangen. Vor allem in Ostasien werden in den letzten Jahren auch immer mehr Kammmuscheln in Aquakultur gefarmt. In Frankreich gelten die Monate Dezember bis April als Hauptsaison der Kammmuschel. Es wird jedoch ganzjährig gefischt.
Bei Dr. Oetker (S. 387) heisst es: «Verzehrt werden in Europa der grosse Schliessmuskel und die Gonaden/Rogen, in den USA nur der Schliessmuskel, in Ostasien der gesamte Schaleninhalt. Jakobsmuscheln sind leicht verderblich; je nach Herkunft können sie mit Toxinen aus dem Nahrungs-Plankton belastet sein. Sie werden frisch oder tiefgefroren angeboten, mit oder ohne Rogen (Corail), auch verarbeitet zu (Teil)fertiggerichten.»
Einst verwendeten die Jakobspilgern die Unterschale der Pilgermuschel als Trinkgefäss (daher der Name) - heute ist die Muschel ihr Erkennungszeichen.
Auf Santa Lemusa werden die besten Kammmuscheln an der Küste vor Gwosgout gefischt (Jakobsmuscheln und Kleine Pilgermuscheln). Es gibt dort sogar ein Restaurant, das «La Pétoncle» heisst und sich auf die Zubereitung von Kammmuscheln spezialisiert hat.
Die Unterscheidung der Arten ist für den Laien einigermassen verwirrend und wird durch einen unsystematischen Gebrauch einzelner Bezeichnungen im Alltag zusätzlich erschwert. Im Deutschen etwa werden Kammmuscheln allgemein auch Jakobsmuscheln genannt. Und in Frankreich zum Beispiel heissen die grösseren Exemplare coquille St-Jacques, alle kleineren Jakobsmuscheln aber grundsätzlich pétoncle.
Kauft man ganze Muscheln, so sollten diese noch leben, das heisst die Schalen sollten fest geschlossen sein. Sind sie offen, dann sollte sich die Muschel bei Berührung ein wenig schliessen. Macht sie gar keinen Wank, sollte man die Finger davon lassen. Beim Einkauf des ausgelösten Muskels sollte man darauf achten, dass das Fleisch einen milden, angenehmen Geruch hat.
Lebendige Kammmuscheln sind nicht überall zu bekommen – in der Schweiz zum Beispiel werden sie so viel wir wissen nirgends verkauft. In Frankreich beginnt die Saison der Coquille St-Jacques im Dezember und endet im April oder Mai. Der Preis liegt pro Kilo bei wenigstens 8 bis 14 €. Je nach Grösse wiegen die Muscheln etwa 150 bis 200 g.
Wir haben verschiedene Methoden ausprobiert, lebendige Jakobsmuscheln zu öffnen – am einfachsten schien uns das nachfolgend beschriebene Vorgehen. Es gelingt den meisten Kammmuscheln nicht, sich (etwa wie eine Auster) völlig hermetisch zu verschliessen. Auf der Seite neben dem Scharnier bleibt immer ein kleiner Spalt offen. Durch diesen Spalt schieben wir ein flaches Messer (es braucht weder besonders scharf zu sein noch besonders fest) in die Muschel und zwar so, dass wir die Klinge möglichst nahe an der flachen Oberschale der Muschel entlangführen bis wir den Schliessmuskel durchtrennt haben und sich die Muschel wie von allein öffnet. Das gelingt leichter wenn man das Messer auf der linken Seite einführt (gemeint ist die Seite, die links liegt wenn man die Muschel mit der gewölbten Unterseite nach unten so in der Hand vor sich hält, dass die gerundete Seite nach oben zeigt). Nun schneiden wir den Muskel so vollständig wie möglich von der Unterseite der Schale los und heben die elfenbeinfarbene Fleisch mitsamt dem meist orangen, manchmal auch bräunlich-weissen Rogen-Sack und dem Bart aus der Schale. Bart nennt man die feine fleischliche Membran, die das Muskelfleisch wie ein Kranz umgibt. Es gibt einen Bart in der Oberschale und einen in der Unterschale. Wir lösen den Bart ab und schneiden den schwarzen Sack weg, der am Ende des Rogens hängt. Wir ziehen auch die fleischigen, caramellfarbenen Teile ab, die das Muskelfleisch umgeben und lösen je nach weiterer Verwendung den Rogen vom Muskel. Auf der Seite des eigentlichen Muskelfleisches sitzt ein kleiner, halbmondförmiger Nebenmuskel, den wir ebenfalls entfernen weil er ziemlich zäh ist. Kulinarisch interessant sind der elfenbeinfarbene Muskel, der Rogen und mit Einschränkungen auch der Bart. Diese Teile spülen wir unter kaltem Wasser sorgfältig ab – alles andere wird entsorgt. Natürlich kann man auch die untere, tief gewölbte Schale putzen und als Teller oder kleine Form zum Gratinieren verwenden.
Das Muskelfleisch frischer Jakobsmuscheln ist so zart, dass es auch roh (mariniert) gegessen werden kann (zum Beispiel nach dem folgenden Rezept aus dem «Chant'ermite» in Valodes). Der Rogen wird in der Regel nicht roh gegessen. Man kann ihn ihn etwas Öl sanft andünsten, nach 2 bis drei Minuten ist er gar. Beim Braten, Grillen oder Pochieren von Jakobsmuscheln sollte man darauf achten, das Muskelfleisch nicht durchzugaren – sonst wird es zäh. Der richtige Gargrad ist erreicht, wenn das Fleisch opak, aber in der Mitte noch leicht durchscheinend ist.
In der französischen Küche wird der Bart in der Regel für die Herstellung eines Fumet oder eines Jus verwendet – also (mit Gemüse und Wein) mehr oder weniger in Wasser gekocht bis er dieses parfümiert hat und dann entsorgt. Wir haben uns eine etwas andere Verwendung für ihn ausgedacht (siehe den Abschnitt «Gratinierter Muschelbart» etwas weiter unten).
Auch dieser kleine Film zeigt, wie sich Jakobsmuscheln öffnen und küchenfertig zubereiten lassen. Der Film zeigt indes nicht, dass die Muscheln zum Schluss noch unter kaltem Wasser abgespült werden sollten. (Kamera Eva Kuhn)
Statt aus den Bärten der Jakobsmuscheln nur einen Jus herzustellen, verarbeiten wir sie wie folgt. Wir waschen die Bärte, schneiden sie klein und dünsten sie mit etwas fein gehackter Zwiebel, Chili, Knoblauch und einer Prise Salz etwa 5 Minuten lang. Die Mischung löschen wir mit einem Schluck Weisswein ab und lassen alles weitere 10 Minuten sanft köcheln. Nun heben wir ein paar Kleckser Crème fraîche, etwas fein gehackte Petersilie und ein bisschen scharfen Senf unter und geben zum Beispiel ein paar klein geschnittene Stücke einer gekochten und geschälten Kartoffel (oder auch Lauch, Erbsen, Champignons, Tomatenstreifen etc.) bei. Wir vermengen alles gut, lassen es kurz aufkochen und schmecken es mit Salz ab. Nun füllen wir diese Mischung in die geputzten und getrockneten Unterschalen der Muschel (man braucht Bärte von etwa sechs bis acht Muscheln für das Befüllen von zwei Muschelschalen). Zum Schluss geben wir ein paar feine Streifen Käse drauf und gratinieren die Muscheln etwa 10 bis 15 Minuten im Ofen bis sie ihre Oberseite eine schöne braune Farbe angenommen hat.
Die vergnügliche Kleinigkeit stellt quasi eine Abfallvariante der gratinierten Coquille St-Jacques dar, wie wir sie anlässlich unserer ersten Reisen durch Frankreich gegessen haben und wie bis heute in vielen Restaurants des Hexagons serviert wird (als ein Art Urgestein der französischen Küche und als ein gut vorzubereitendes Gericht, das sich direkt von der Gefriertruhe via Ofen auf den Tisch zaubern lässt).
Conpoy sind gekochte und dann getrocknete Schliessmuskeln von Kammmuscheln – eine Spezialität der chinesischen Küche, die dort hohes Ansehen geniesst und oft als Delikatesse in kostbaren Verpackungen verkauft wird. Conpoy haben die Farbe von hellem Karamell, riechen stark nach Meer und haben einen vollen, fleischigen Geschmack. Der Name conpoy leitet sich vom Kantonesischen Wort gon bui (乾 貝) ab, das wörtlich «getrocknete Muschel» bedeutet. Ursprünglich wurde conpoy natürlich mit dem Ziel hergestellt, die Muscheln haltbar zu machen – heute werden die Tiere vor allem aus kulinarischen gründen getrocknet. Eine medizinische Bedeutung scheinen sie nicht zu haben.
Conpoy werden gerne in Congee gegeben, können aber auch Teil von Schmorgerichten und Saucen sein. Vor der Verwendung in der Küche werden sie 30 Minuten lang in Wasser eingelegt, dann wenigstens 30 Minuten gekocht. beim Kochen schwellen die Muscheln zu einem Vielfachen ihres Volumens an, ihre Farbe wird weisser und brechen leicht auseinander.
In einem CNN-Blog haben wir die folgende Aussage eines Händlers in Hong-Kong namens Leung Huen gefunden: «The best quality conpoys are from Japan and should have sharp, clean edges. They are the ones with strong aroma and flavor. The ones with rounded edges are from Mainland China and are generally less fragrant with more impurities.»
Bei Deh-Ta Hsiung (S. 218) heisst es: «Aus einigen Gründen sind getrocknete Kammmuscheln sehr, sehr teuer – die meisten Restaurants verwenden stattdessen gemahlene. Die Muscheln werden in Asienläden meist in Schachteln mit durchsichtigem Deckel verkauft und natürlich unter Verschluss gehalten. Wenn Sie sich entschliessen sollten, einen halben Wochenlohn für diese Kostbarkeit auszugeben, verbrauchen Sie Conpoy schnell, sie verdirbt rasch». Am Abend bevor wir diesen Passus bei Deh-Ta Hsiung lasen, assen wir ein Congee mit Conpoy, die wir seit mehr als einem Jahr in unserer Küche herumstehen hatten. Eingepackt in ein simples Plastiktütchen hatten sie einen Frühling, einen heissen Sommer, den Herbst und den halben Winter überdauert. Es ist uns nichts passiert - obwohl uns bei der Lektüre von Deh-Ta Hsiung für einen Moment lang ganz schön übel war. Eine kleine Recherche beim China-Detaillisten unseres Vertrauen ergab dann, dass sich die Conpoy im Kühlschrank bis zu einem halb Jahr, im Gefrierschrank bis zu zwei Jahren halten.
Je grösser die Conpoy sind, desto teurer sind sie. In Chinas Luxusgeschäften sind Exemplare mit einem Durchmesser von 2 bis 3 cm keine Seltenheit. In der Schweiz konnten wir uns nur etwas mehr als erbsengrosse Muscheln besorgen (auf Bestellung). Doch auch die kosteten (im Februar 2012) stattliche 15 Franken pro 100 g. Allerdings dufteten diese kleinen Muscheln deutlich frischer und angenehmer als die grossen Exemplare aus China je gerochen hatten.
First Publication: 8-2-2012
Modifications: 12-3-2012