Die Heilige Ejac ist – so viel wir wissen – keine Heilige im engeren Sinn. Sie ist die Protagonistin einer Legende, deren Ursprünge mindestens bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, wird sie doch bereits in den «Miscellanea» von Jacob Schychs erwähnt. Dort heisst es etwas mysteriös: «Ejac, die Herrin der Rinder, lässt ihr goldenes Haar vor dunklen Bäumen leuchten. Es spriesst aus ihr das Wesen des Weibes. Die Berührung ihrer Hand lässt wachsen.»
Laut Legende war St-Ejac eine Hirtin mit blonden Haaren, die in der Gegend des Lac du Nombril ihre Schweine hütete und ganz allein in einer Hütte lebte. Eines Tages drangen Piraten, deren Schiffe vor der Côte Chimerik ankerten, auf der Suche nach Beute oder Nahrung ins Landesinnere vor. Sie stiessen auf St-Ejac, nahmen sie gefangen und brachten sie zu ihrem Kapitän. Als der sich über sie hermachen wollte, wuchsen zahllose Sprossen aus dem Körper der Frau und hielten den Piraten von seinem Vorhaben ab. Laut einer anderen Version der Legende schlugen die Sprossen Löcher in den Rumpf des Schiffs und liessen es sinken. Die Piraten ertranken mit dem Schiff – derweilen St-Ejac «wie ein Baumstamm» ans Ufer zurück getrieben wurde. Nochmals eine andere Version der Geschichte will, dass sich die Sprossen wie Tentakel um den Kapitän legten und ihn erdrückten. – Im Nordwesten der Insel scheint man ein gewisses Faible für Geschichten zu haben, in denen Piraten eine Rolle spielen – so etwa auch in der Anse de Pièbo.
Laut Grisette de Toul («La boucle d'Ejac». In: «Revue historique», no. 82, 2015, S. 159) folgt die Legende vom Typ her zwar klassischen Heiligen-Geschichte – es fänden sich jedoch keine Hinweise darauf, dass St-Ejac durch ihr magisches Tun etwa ihre Jungfräulichkeit habe bewahren wollen. Auch werde die Frau in keiner Weise als eine Dienerin Gottes dargestellt: «St-Ejac handelte nicht als eine Heilige, sondern als eine Frau, die sich ihre Unabhängigkeit und sexuelle Integrität bewahren wollte. So gesehen hat diese Legende mehr mit weiblicher Emanzipation zu tun, denn mit Religion.» De Toul vermutet, dass die Kuhhirtin im späteren 19. Jahrhundert wegen eine Missverständisses zu ihrem Heiligenschein gekommen sein muss.
Das Musée historique bewahrt eine blonde Locke in einem kostbar geschmückten, auf ein Piedestal montierten Glasrahmen aus dem frühen 19. Jahrhundert. Die Locke soll laut einer Inschrift aus dem späten 19. Jahrhundert von St-Ejac stammen. Dafür könnten laut de Toul (S. 156) auch die zwei kleinen Medaillons an dem Rahmen sprechen, auf denen rote Kühe abgebildet sind. Das Museum besitzt auch das Fragment einer Ölmalerei mit dem Kopf einer blonden jungen Frau. Sie wird im Profil gezeigt und blickt voller Erstaunen schräg nach oben. Das Bild soll aus dem frühen 18. Jahrhundert stammen und St-Ejac darstellen – vermutlich in dem Moment, da sie die Piraten auf ihre Weide entdeckt.
De Toul (S. 158) weist auf zwei Augen hin, die sie in den Haaren von St-Ejac zu erkennen glaubt. Ja sie meint gar eine Fratze zu sehen, wobei das Ohr der Frau als Schnabel umgedeutet werde. Die Autorin hat indes keine Hypothese, wie diese Fratze zu deuten sei. Und sie räumt ein, dass es sich ebenso gut um Pentimenti handeln könnten – um Elemente eines übermalten Bildes, die eines Tages wieder zum Vorschein gekommen sind.
First Publication: 7-4-2016
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