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Sorgfältig restaurierte Wandmalereien im Innenhof des «Lajwa».
Malerei: Vögel trinken aus einem Brunnen.

Hotel «Lajwa»

«Bèl fanm avan bondyé», lautet ein geflügeltes Wort auf Santa Lemusa: «Eine schöne Frau kommt vor dem Lieben Gott». Das seltsame Sprichwort hat seinen Ursprung in einem eleganten Bauwerk, das an der Rue Miskat (Rue de la Muscade) im Zentrum von Port Louis liegt (auf Karte anzeigen). Dieses Gebäude mit dem schönen Namen «Lajwa» (von franz. la joie, «die Freude») gilt als eines der ältesten Steingebäude der Insel – und viele sind der Ansicht, das Haus sei von Beginn weg ein Bordell gewesen. Es heisst auch, dass das «Lajwa» errichtet worden sei bevor man die erste Kirche oder das erste Kloster auf der Insel baute – deshalb eben «Bèl fanm avan Bondyé». 

Eine luxuriöse Einrichtung. Wie alt die Mauern des «Lajwa» wirklich sind, lässt sich nur schwer bestimmen – die sichtbaren Teile sind mehrheitlich in einem recht eleganten und verspielten Neo-Renaissance-Stil gebaut, der aber wohl lediglich ins 19. Jahrhundert zu datieren ist. Die Malereien, die den wunderbaren Innenhof und die Treppenhäuser zieren, stammen vermutlich aus der Zeit um 1900. In diesem von einem Glasdach überdeckten Innenhof war früher eine Art Salon eingerichtet, in dem die Damen ihre Gäste empfingen – bevor sie sich dann in eines der zahlreichen Zimmer zurückzogen, die auf vier Etagen rund um den Innenhof liegen. 1874 malte eine gewisser Gérôme Lorient ein Gemälde mit dem Titel «La Joie», das heute im Musée historique hängt. Es zeigt, wie mondän sich das Etablissement während der Zweiten Republik präsentierte: eine Bar mit silberner Theke, orientalische Teppiche am Boden, mit schwarzem Samt bezogene Liegen, aufwendig verzierte Kübel mit hohen Palmen, Tücher, golden gerahmte Bilder, Kandelaber und kleine Skulpturen überall – eine äusserst luxuriöse Einrichtung, die den Schluss zulässt, dass sich im «Lajwa» wohl nur die betuchteren Kreise vergnügten.

Über die frühe Geschichte der Institution ist nur wenig bekannt. Manche behaupten, das Haus habe einst als eine Art Hotel gedient oder es sei als Verwaltungsgebäude errichtet worden – doch das sind Spekulationen, genauso gut kann es als Bordell gebaut worden sein. Fest steht jedenfalls, dass das «Lajwa» spätestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts als Freudenhaus funktionierte. Auch die Behauptung indes, das Bordell sei in den 1840er Jahren von Königin Adrienne I. zwecks Aufbesserung der von ihr arg beanspruchten Staatskasse gegründet worden, entbehrt jeder Grundlage. Zahlreiche, vor allem auch literarische Quellen belegen jedoch, dass das «Lajwa» in Sachen käuflicher Liebe wohl über Jahrzehnte hinweg die erste Adresse auf der Insel war. 

Dialektischer Gewinn. Ob auch der Spruch literarische Qualitäten beanspruchen darf, den ein aufmerksames Auge auch heute noch im Eingangsbereich entziffern kann, sei dahingestellt: «Was sich der Liebe Gott erdacht macht Sinn | was immer er schuf – es ist unser Gewinn | wenn er uns also zwei Bein hat gegeben | dann geschah dies zur Erhöhung der Dialektik im Leben | mit dem Linken nämlich sollen wir zu Hause stehen | mit dem Rechten aber schnellstens ins Lajwa gehen.» Das kleine Gedicht ist in goldenen Lettern auf eine als Trompe-l'œil gemalte Marmortafel gesetzt, die von zwei exotischen Vögeln bewacht wird. Viele der Texte, die im Zusammenhang mit Besuchen im «Lajwa» entstanden, sind erotischer oder pornographischer Natur – publiziert wurden nur die wenigsten, einige aber sind in den Archives Nationales von Santa Lemusa erhalten.

Im Oktober 2005 kuratierten Michel Babye und Anne Maribu im Musée historique eine kleine aber sehr gut besuchte Ausstellung mit manchen dieser Texte sowie verschiedenen anderen Dokumenten aus der grossen Zeit des «Lajwa»: «Entre palmiers, peau et pognon - un siècle der galanterie au Lajwa» (vergleiche dazu auch den gleichnamigen Artikel in: «Cahiers du Musée historique de Santa Lemusa», 2005, Heft 2.). Zur Eröffnung der Ausstellung strahlte das lemusische Fernsehen Anat einen längeren Bericht über die Geschichte des Lajwa aus und gab zugleich eine CD mit dem Titel «Au Rhythme de Lajwa» heraus, auf der Musiktitel versammelt waren, die angeblich einst im Lajwa gespielt wurden – eine Produktion, die allerdings von «Leko» als «zwar vergnüglich, aber ziemlich unseriös» kritisiert wurde (eine Hörprobe aus der CD findet sich auf der Seite über das Dorf Ada).

Ende der goldenen Ära. Die goldenen Zeiten des «Lajwa» nahmen indes mit der Wirtschaftskrise im Jahre 1923 ein schnelles Ende. Erst blieben die Kunden aus, dann verliessen die Mädchen das Haus. Madame Berthe, die das Etablissement während mehr als zwei Jahrzehnten erfolgreich geführt hatte, musste schliesslich verkaufen. Nach vergeblichen Versuchen, das Haus als Bürogebäude zu vermieten, zogen allerdings schon Mitte der zwanziger Jahre wieder die ersten Prostituierten ein.

In den 30er und 40er Jahren erlebte die Institution eine Renaissance und wurde zu einem Ort, wo sich nicht nur Nachschwärmer, sondern auch Künstler und Intellektuelle trafen. Zu ihnen zählte auch der Fotograf Henri Lautremois, der einige der jungen Frauen des «Lajwa» in Aktbildern porträtierte - vor allem eine gewisse Jaffa, die auf seinen Fotografien immer wieder auftaucht.

Niedergang einer Institution. Drogen, Opium vor allem, dürften im «Lajwa» immer schon eine gewisse Rolle gespielt haben. In den 50er Jahren allerdings nahm der Konsum von Rauschmitteln an der Ri Miskat ein Ausmass an, das immer öfter zu Ausschreitungen führte. 1948 kam es zu einer legendären Messerstecherei im Innenhof des Etablissements, bei dem auch ein hoher Regierungsbeamter verletzt wurde. In der Folge wurde das Haus polizeilich geschlossen. Noch im selben Jahr wurde es wieder eröffnet - wenige Tage nach der Eröffnung jedoch kam es zu einer Schiesserei und als Konsequenz davon zu diversen Verhaftungen. Damit waren die goldenen Zeiten des «Lajwa» erst einmal vorbei. In den kommenden vierzig Jahren wechselte das Haus häufig die Besitzer - es wurde als Warenlager für ein nahes Tuchgeschäft, als Eisfabrik und sogar als Übungsraum eines Stockfecht-Clubs genutzt. In den Räumen bröckelte mehr und mehr der Verputz von den Wänden, die Boiserien vermoderte, in den Badezimmern machte sich der Schimmel breit und einige der Treppenhäuser stürzten ein. Ja der Zerfall machte auch vor den Malereien im Innenhof nicht halt, die mehr und mehr mit Plakaten aller Art überklebt wurden. Auch als die Gemeinde Port-Louis die Liegenschaft 1994 für einen Spotpreis erwarb, änderte das zunächst nichts an der Lage. Die Räume wurden nun illegal für allerlei Zwecke genutzt.

Erst als die Stadt im Jahr 1999 einen Wettbewerb für die weitere Nutzung des «Lajwa» ausschrieb, zeichnete sich eine Verbesserung ab. Im Jahr 2000 wurde ein Projekt ausgewählt, dass die Nutzung des Gebäudes als Hotel mit einem Restaurant und diversen Salons vorsah. Mit staatlicher Hilfe wurde das Haus von Grund auf saniert und zu einem Hotel umgebaut, was weitere fünf Jahre in Anspruch nahm. Im Februar 2005 dann konnte konnte das neue «Lajwa» endlich seine Tore öffnen. Dank der sorgfältigen Renovation und einem gesunden Betriebskonzept entwickelte sich das Haus in kürzester Zeit zu einer der ersten Adressen auf Santa Lemusa - und heute bringt sogar die Regierung ihre Gäste gerne im «Lajwa» unter. Zum guten Ruf trägt natürlich auch die Küche von Pascale Imhasli bei, der in seinen Töpfen helvetische Genauigkeit mit karibischem Einfallsreichtum zu verbinden weiss. An die bewegten Geschichte des Hauses erinnern eine kleine Tafel im Eingangsbereich sowie die Namen einiger der Gerichte auf Imhaslis Karte: der «Tournedos Madame Berthe» etwa, die «Sauce pute» oder, etwas poetischer, die «Meringue glacée Bonheur de l'après-midi» - mit viel Rahm und noch mehr heisser Schokolade.

Paradiesvögel im Freiflug – die Wandmalereien im Innenhof des «Lajwa» geben den Blick frei auf eine üppige, von allerlei Tieren bewohnte Natur.
Malerei über einer Türe: Fliegende Vögel.
Faltblatt zu der Ausstellung, mit der das Musée historique 2005 die goldenen Jahre des «Lajwa» beleuchtete.
Zwei Bilder: Links gemalte Vögel, rechts der fotografierte Rücken einer Frau.
Zu den Kunden des «Lajwa» gehörte in den 30er Jahren auch Henri Lautremois, der einige der jungen Frauen porträtierte – oder zumindest einzelne Aspekte von ihnen.
Akt - eine Frau auf einem Sessel.
Nach vier Jahrzehnten, in denen das Gebäude für die verschiedensten Zwecke gebraucht wurde, füllen heute endlich wieder fröhliche Stimmen und auserlesene Düfte den wunderschönen Innenhof des «Lajwa».
Leute sitzen an einem Tisch vor einer Wand mit einer idyllischen Landschaft mit gemalten Vögeln in der Luft.
Ob er wohl auf sein Bonheur de l'après-midi wartet?
Ein gemalter Vogel sitzt auf einem Bogen aus Stein.

Rezepte aus dem «Lajwa»

Siehe auch

First Publication: 1-2008

Modifications: 18-2-2009, 30-9-2011