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Peking, Hotel «Rose des Südens»

Szene 18

Draussen war es an die 40 Grad warm. Die Klimaanlage in Mailles Hotel aber war so eingestellt, dass die Temperatur in seinem Zimmer verlässlich und unveränderbar 17 Grad betrug – am Tag wie in der Nacht. Maille hatte sich an der Rezeption beschwert, hatte gedroht, heimlich sein Fenster zu öffnen und so die Energiebilanz der Volksrepublik China zu sabotieren. Doch die Herren hatten bloss gelächelt – und die Fenster waren fest verschraubt.

Um sich auf eine normale Temperatur zu bringen, stieg Maille in die oberste Etage des Hotels hinauf, wo sich ein Hallenbad befand. Er war allein. Der Pool war so voll, dass das Wasser bei der kleinsten Bewegung über die Ränder schwappte, in kleinen Strömen auf die Ecken des Raumes zuraste und dort im Boden verschwand. Als Kind hatte er sich manchmal vorgestellt, dass es auch im Meeresgrund plötzlich ein Leck geben könnte, dass alles Wasser plötzlich versickern würde. Der Gedanke hatte ihm Angst gemacht und tapfer hatte er beschlossen, Taucher zu werden und es sich zur Aufgabe zu machen, den Meeresboden auf undichte Stellen hin abzusuchen. Auf eine gewisse Weise hatte sich dieser Berufswunsch ja auch ein wenig erfüllt, dachte Maille während er so schnell abtauchte, dass nochmals tüchtig Wasser über den Poolrand schwappte und wie zuvor im Boden verschwand. Während Maille die Luft anhielt, wünschte er sich, das Wasser möge auf geheimnisvolle Weise den Weg zur Rezeption finden und sich dort als ein plötzlicher Regenguss über den Wächtern der 17 Grad ergiessen. Bei dem Gedanken musste er lachen – und fuhr prustend aus den Tiefen hoch.