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Mumbai, Chhatrapati Shivaji Terminus (CST, früher Victoria Terminus)

Szene 1: Hektor Maille findet Kurkuma

Curcuma longa ist eine von 20 Zutaten, die es für die Herstellung von Maille-Masala braucht, der scharfen Mischung zur «Mission Kaki». Jede Zutat, die Hektor Maille während seiner Recherchen in Indien findet, erinnert an eine Szene aus einer von 20 Episoden des Reiseabenteuers «Mission Kaki». Kurkuma erinnert an: Szene 8 aus Episode 11 («12 Arbeiten in Australien»).


Ein Tag im Leben von Odette Sissay

14.20: Port-Louis, Rue de Prague, Büros des Geheimdienstes

Das erste, was Odette erblickte als sie den Raum betrat, war Maries Bauch, der auf Augenhöhe vor ihr hin und her baumelte. Die Büros des lemusischen Geheimdienstes lagen in einem alten Gebäude mit hohen Räumen, in denen zur Stabilisierung der Architektur verschiedene Querstangen eingezogen waren. Viele Mitarbeiter des «Deuxième Bureau» nutzten diese Verstrebungen, um daran Lampen oder Tücher, Pinnwände oder Bilder aufzuhängen. Der ersten Sekretärin des lemusischen Geheimdienstes aber dienten sie als Fitnessgerät. Sie hatte ihre Beine so zwischen zwei dieser Stangen geklemmt, dass ihr Körper wie ein Kronleuchter mitten im Raum hing. Aus dieser Position heraus machte sie Rumpfbeugen – und zwar immer dann, wenn Mercier aus dem Haus war und sie die Büros der Chefetage für sich alleine hatte. Marie ging seit Jahren regelmässig in ein Fitnesszentrum, das «T(r)ophorme» hiess und sich dadurch auszeichnete, dass die diversen Maschinen in einer Art Tropenhaus aufgestellt waren – mit einem Stück echten Regenwalds, mit kleinen Flüssen, Wasserfällen, Teichen, Schildkröten, Vögeln, Schmetterlingen und sogar einem lebendigen Affen, der Adam hiess und den Kunden am Eingang Frotteetücher aushändigte. Im «T(r)ophorme» herrschten auch annähernd tropische Temperaturen, was es den Sportlern ermöglichte, beinahe nackt zu trainieren und dabei kräftig zu schwitzen. Marie mochte das, denn sie war stolz auf ihren muskulösen Bauch und stellte ihn freizügig zur Schau. Sie spürte auch gerne, wie ihr der Schweiss von den Achselhöhlen her über die Rippen lief, und sie liebte den Geruch, den sie dann an ihrem Körper wahrnahm und der sie an eine komplexe Curry-Mischung erinnerte. Die anderen Duft-Mixturen im «T(r)ophorme» blendete sie ebenso aus wie die teilweise gewaltigen Bäuche, die sich hier links und rechts von ihr durch den Dschungel schoben.

Seit sie allerdings Odette kannte, genügten Marie die regelmässigen Besuche im «T(r)ophorme» nicht mehr und sie begann, ihren Körper nun auch am Arbeitsplatz zu stählen. Was dazu führte, dass ihr Pansen mehr und mehr an die Bauchzone von Laokoon erinnerte, der sich und seine Söhne aus dem Würgegriff der athenischen Schlange zu befreien sucht. Wobei es Küchenfreunde immer ein wenig irritiert, dass so ein «Six-Pack», wie dieses Muskel-Arrangement der Körpermitte in Fachkreisen heisst, stark an ein sorgfältig geschnürtes Bratenstück erinnert – auch wenn der Rosmarinzweig natürlich fehlt.

Er fehlte auch bei der ersten Sekretärin des lemusischen Geheimdienstes. Dafür aber sass auf der untersten, in Maries gegenwärtiger Lage also der obersten Wölbung ihres Bratens in dunkelblauer Farbe ein grosses «O», das sich Odette wie ein leicht geöffneter Mund entgegenstreckte.